3. Akt - In den Bergen

Ava starrte den Pygmaei und vorallem seinen Ballon kurz überrascht an, fasste sich dan aber und bat Kaebjorg: "Hilf mir doch bitte, das Seil zu befestigen." Sie blickte erneut zu Valeska und war dankbar, dass Lylla sich um diese kümmerte.

"Un' wie das knapp war!"
Kaebjorg sah missbilligend auf den Anker, der neben ihm eine Delle in den weichen Boden geschlagen hatte.
Dann wandte er sich Ava zu. "Aye, kleine Fische, das kriegen wir hin!"
Er packte das Seil, zerrte daran und stellte amüsiert fest, wie das Gefährt auf seinen Zug hin in der Luft schaukelte. Am nächsten starken Ast verknotete er das Ding fachmännisch.
Und nun? Bestimmt würde der kleine Kerl gleich eine Strickleiter hinunterlassen und ihnen Gesellschaft leisten.
"Ach ja, schaut besser nich in den Teich da", warnte er noch den Rest der Runde inclusive Raya, die gerade mit einem Holzstapel zurück zur Gruppe kam. "Is irgendein Zaubervieh drin."
Dann legte er Stück für Stück seine nassen Klamotten ab, bis er in Unterhosen da stand, und trocknete sich zuallererst den nassen Bart mit der Wolldecke aus seinem Gepäck. "Brr! Scheußlich, diese kalte Brühe!"

"Oh, danke für's Festbinden", ertönte wieder die Stimme von oben. Der Pygmaei betätigte eine Seilwinde und der Ballon bewegte sich dadurch Richtung feste Oberfläche. Dann warf er eine Strickleiter runter und kletterte hinab. Quendi beobachtete das Geschehn mit leuchtenden Augen. "Hallo", sagte sie. "Ich bin Querdenkerin. Und wer bist du?"
"Oh, freut mich dich kennenzulernen, junge Dame. Ich bin Luftbezwinger."

Amüsiert schaute Raya zu dem Pygmaei hinauf und lief zu Kaebjorg hinüber. "Hast du einen Feuerstein zur Hand", fragte sie.
Sie stapelte das Feuerholz in eine passende Kuhle. Sie wollte ihrem Freund in die Augen schauen, starrte ihm aber stattdessen auf den wohlgenährten beharrten Körper.
"Kann ich dir was Trockenes zum drüberziehen anbieten oder möchtest du lieber einen Schluck Narimbrand?"
Sie konnte sich ein Kichern nicht verkneifen.
"Entschuldige bitte!"

Mit offenem Mund starrte Valeska auf Kaebjorgs entblößten Bauch und zog instinktiv die Decke enger um sich. Hoffentlich erwartete nun keiner von ihr, es ihm in aller Öffentlichkeit gleichzutun. Ihre Kostüme im Zirkus waren ja auch freizügig gewesen, aber der bunte Flitter hatte die Augen der Zuschauer mehr angezogen als ihre nackte Haut - hatte sie zumindest immer angenommen. Jetzt war sie sich nicht mehr so sicher. Sie sah sich nach ihrem Maultier um. Es wäre schon gut, aus den nassen Kleidern zu kommen. Sobald sie es entdeckt hatte, lief sie dorthin und kramte trockene Sachen aus ihrem Bündel. Sie hörte erst auf zu zittern, als sie sich hinter einem Busch umgezogen hatte. Zum Glück hatte der kleine Mann sein luftiges Gefährt verlassen und konnte nicht von oben auf sie herabgucken. Schon bald tauchte sie hinter dem Gebüsch wieder auf, ging zu Lylla hinüber und reichte ihr die Decke. "Nochmal danke dafür. Soll ich sie zum Trocknen an den Busch hängen?", fragte sie die Ellyl und flüsterte ihr dann zu: "Heute passieren aber merkwürdige Dinge. Erst das Fischbiest, dass mich fressen wollte und nun wäre Kaebjorg fast von dem Eisenteil erschlagen worden. Kennst du dich mit dem Ding aus, das an dem Eisen dranhängt?"

Lylla schob die Unterlippe vor und schüttelte den Kopf. Verrückt, wie die Sonne blenden konnte, wenn man sich das Ding genau ansehen wollte. Die Augen nach oben gerichtet hielt Lylla die feuchte Decke in Kaebjorgs Richtung. "Merkwürdige Dinge. Allerdings," murmelte sie zustimmend. Neidisch hörte sie den beiden Pygmaei zu. Fliegen, in deinem Alter, schalt sie sich. Hat dir der Irrsinn zwischen all dem Metall über dem Sternensee nicht gereicht? Nein, grinsten ihre Mundwinkel abenteuerlustig. Um sich abzulenken, sah sie weg. Ihr Blick fiel auf einen stolzen Gidwerg in Heldenpose und Raya, die sich vor Lachen auf die Lippen biss.

Was sollte nur dieses Kichern? Kaebjorg grübelte, doch nur kurz - dann fiel der Finger*: So kicherten Frauen, wenn sie Gefallen an jemandem fanden! Konnte das sein, nach all der Zeit, die sie zusammen herumreisten?
Ach, er hasste solche Situationen! Wie sollte er nur herausfinden, ob etwas an seiner Theorie dran war, und wenn ja, wie Raya beibringen, dass sie ihm nicht bärtig genug war, ohne ihre Gefühle zu verletzen?
Andererseits, solche Gefühle waren normalerweise nicht von langer Dauer, das wusste er sehr gut aus eigener Erfahrung. Jedenfalls hoffte er darauf. Außerdem mochte sie doch Andrel, oder täuschte er sich da?
"Aye, Narimbrand und 'n schönes Feuer wären toll, um den Rest kümmer ich mich schon."
Er warf die Wolldecke ins Gras und sah sich nach seinem Maultier um. Ach, Mist, das hatte er ganz vergessen! Wo steckte es nur? Es trug ja noch sein Gepäck!
"König! König vom Kielwasser!", brüllte er und verschwand zwischen den nahen Büschen, wo er in einiger Entfernung einen Apfelbaum erkennen konnte.

Eine Weile später kam er barfuß, in seiner Zweitbekleidung und mit dem widerspenstigen Maultier am Strick zurück zur Lagerstelle.

* kleinste Gidwergmünze

Lylla warf Raya einen Verschwörerblick zu, während sie die Decke aufsammeln ging. Sie nickte dem Gidwerg nach, dessen Rückansicht zwischen den Blättern verschwand. "Überraschend, dass er sich ohne Bart nackter fühlt, als ohne Kleidung." Sie ging die Decke zwischen ein paar Äste hängen, die sich nicht im Schatten des Flugdings mit Anker befanden.

"Sieh mal, Raya macht gerade ein Feuer, und die anderen - ", ihr Blick wanderte zu der Stelle, an der Kaebjorg gerade verschwunden war, "scheinen irgendwie beschäftigt zu sein. Setzt dich doch zu uns und erzähle etwas von dir. Was ist das für eine tolle Erfindung, mit der du angekommen bist?"
"Oh, das ist sehr freundlich von dir", erwiderte Luftbezwinger und setzte sich hin. Er kramte ein Beutel mit Haferkeksen heraus, gab einen Quendi und fragt in die Runde: "Wollt ihr auch einen?"

Valeska näherte sich vorsichtig Quendi und dem kleinen Mann, der sich ganz ungeniert benahm, als gehöre er schon zur Gruppe. Eigentlich zürnte sie ihm noch, weil er mit dem Eisenteil so unvorsichtig umgegangen war und damit beinahe den netten Gidwerg erschlagen hatte. Sollte man nicht wenigstens nach unten sehen, bevor man das Dingens durch die Gegend warf? Aber wie er da so stand, nach Aufmerksamkeit heischte und dann auch noch Kekse anbot, siegte ihr Magen über den Groll. "Ich würde gern einen nehmen", sagte sie, so freundlich es ihr möglich war. "Ich heiße Valeska. Wo kommst du denn her?"

Lylla gesellte sich wieder zu der Gruppe, in deren Mitte sich Luftbezwinger befand. Auf seine Einladung hin streckte sie vorsichtig eine Hand in den Beutel und beobachtete ihn in Erwartung seiner Antwort auf Valeskas Frage.

Himmelsbezwinger freute sich und gab Valeska einen Keks und ließ auch Lylla einen nehmen. "Die hat meine Mutter gemacht. Ist ein altes Familienrezept", sagte er stolz. Dann überlegte er: "Wo ich herkomme? Na von dort oben natürlich", und deutete nach oben. Dann prustete er los vor Lachen. "Ich habe meine Werkstatt in Hui'Ma. Und ich bin bis hierher gekommen. Fernab jeglicher Fluglinie. Ist das nicht revolutionär?"

Quendi kam aus dem Staunen nicht heraus. Sie hatte ja selbst ein Himmeldgefährt gebaut, jedoch benötigte dieses noch die Magie der Fluglinien, wie jedes andere Luftschiff diese auch brauchte. "Darf ich mir das anschauen und ein wenig mitfliegen?" Der Pygmaei strahlte. "Natürlich zeige ich einer Frau vom Fach gerne meine Erfindung. Der Korb ist ja recht klein, aber du dürftest noch hineinpassen."

Ava hatte sich, nachdem Kaebjorg das Seil einfach alleine befestigt hatte, zu ihrem Muli zurück gezogen. Dort schlüpfte sich hinter ein paar Büschen aus ihren feuchten Klamotten und zog sich um. Dann ging sie zu den anderen zurück, hielt aber Abstand. Sie bekam nicht alles mit, aber als dieser Pygmaei, Luftbezwinger oder so, Quendi anbot mitzukommen, wusste sie nicht so recht, wie sie das finden sollte. Sie hatte die Pygmaei ja kaum gekannt. Sie blieb an einen Baum gelehnt im Schatten stehen und lächelte, als sie sah, das es Valeska wieder besser zu gehen schien.

Valeksa knabberte an ihrem Keks und sagte mit einem Lächeln: "Danke, der Keks ist sehr gut. Deine Mutter ist eine sehr gute Bäckerin." Denn warf sie einen zweifelnden Blick nach oben. "Da willst du wirklich mitfahren, Quendi? Das würde ich mich nicht trauen. Was ist, wenn das Ding plötzlich vom Himmel fällt, wie vorhin der Anker?" Sie sah Ava am Baum in einiger Entfernung stehen und rief zu ihr hinüber: "Möchtest du dich nicht neben mich setzen? Es ist ganz gemütlich hier am Feuer. Du warst doch auch im Wasser und wolltest mir helfen. Du solltest dich aufwärmen."

Ava lächelte nicht mehr, eigentlich wäre sie lieber auf Abstand geblieben. Allerdings hatte Valeska Recht, was das Aufwärmen anging. Sie trat vorsichtig näher ans Feuer, setzte sich neben Valeska und wusste nicht, ob sie jetzt irgendwas zu Luftbezwinger sagen sollte. Also fragte sie nur leise Valeska: "Geht es dir wieder gut?"

Valeska drückte Ava beruhigend die Hand. "Mach dir keine Sorgen. Dieses Seeungeheuer hat mich nur sehr erschreckt und besonders die Tatsache, dass es mich zwingen konnte, etwas zu tun, was ich nicht wollte. Mir geht es gut.", flüsterte sie zurück.

Ava sah überrascht auf ihre Hand und registrierte nur die Hälfte von Valeskas Worten. Sie war wirklich erleichtert, dass es dieser gut ging, trotzdem wünschte Ava sich, sie wäre am Baum geblieben. Sie zog ihre Hand zu sich und starrte verlegen auf den Boden.

Lylla musste gegen einen plötzlichen Bemutterungsschub ankämpfen und wandte sich etwas von der Gruppe ab. Tief atmend wiederholte sie innerlich ihr Mantra "Sie sind erwachsen und dürfen tun, was sie wollen." Einfach nicht nach oben sehen. Die zwei erwachsenen Pygmaei erinnerten sie furchtbar an Kinder. Allein in diesem Ballon! Und dann war die Kleine gerade eben ins Wasser gezogen worden! "Nein, Lylla," schalt sie sich, "sie ist nicht klein. Und sie sieht nur jung aus, ihre Erfahrung macht sie erwachsen." Trotzdem! Was machten sie hier eigentlich, es war doch furchtbar gefährlich! Sie sehnte sich nach Wänden und einem Dach, und einem Heer vor der Tür, zum Aufpassen. Sie blieb stehen. So ging es nicht! Sie brauchte sofort einen Sündenbock, um nicht durchzudrehen. Nachdenklich schob sie Krümel in ihrem Mund herum. Der Keks! Der war wirklich gut gewesen. Vielleicht daher diese Heimwehattacke? Sie hatte es noch nie gut ertragen können, wenn jemand besseres Essen hatte, als sie. Wahrscheinlich fehlte ihr auch jemand in ihrem Alter. Jemand von ihrem Volk, sie brauchte jemand normales. Wo war eigentlich Andrel? Ein kurzer Schreck durchfuhr sie, verebbte aber sofort: Andrel wäre nicht ins Wasser gezogen worden, bestimmt nicht. Aber wenn er nicht zu sehen war, gab es noch einen guten Grund, ihn zu suchen. Sie würde ihm erzählen können, was alles passiert war, das half ihr immer. Gut gelaunt machte sie sich auf die Suche nach dem Heiler.

Nachdem Kaebjorg das Maultier festgemacht hatte, stellte er seine Stiefel zum Trocknen vor das Feuer und streckte die nackten Zehen aus.
"Hier war ja echt was los! Denkt man gar nich von so nem stillen Teich!"
Dann erblickte er den Pygmaei und seine Kekse.
"Da sag ich nich Nein!" Er griff in den Beutel und nahm sich zwei Kekse. Sie waren klein, so wie alle Kekse. Eigentlich eine seltsame Erfindung - weshalb backte man aus dem Teig nicht gleich einen großen Kuchen? Wie auch immer, schmecken taten sie fantastisch.
"Das Flugding intressiert mich aber auch", wandte er sich an den Pygmaei und zwinkerte Quendi dabei zu. "Funktioniert das wie ein Schiffssegel, dieser Stoffballon?"

Der Beutel, den Andrel sich über die Schulter gehängt hatte, war inzwischen prall gefüllt mit Kräutern, deren Duft ihn wie eine Aura umgab. Eigentlich hatte er sich vorgenommen, seine Suche zu beenden, wenn er das Feuerkorn geerntet hatte, doch nun war er förmlich über den Beinwell gestolpert, der im Schatten einiger großer Sträucher wuchs, und den konnte er unmöglich ignorieren. Stumm dankte er Dorana, während er die Pflanze ausgrub. Das Extrakt aus den Wurzeln gab eine wirksame Arznei. Bei der nächsten Rast würde er alle Hände voll zu tun haben, die Kräuter aufzubereiten.

"Hmm, ich weiß nicht genau, wie das funktioniert", antwortete Quendi. "Ich muss mir das erst einmal anschauen."
"Das darfst du gerne tun", fiel Luftbezwinger ein. "Aber das funktioniert nicht wie ein Segel. Ich hatte festgestellt, dass die Wärme nach oben steigt. Hält man eine Feder über eine Flamme und lässt sie los, so steigt sie nach oben. Da hab ich mir gedacht: Luftbezwinger, fang die warme Luft mit einem großen Tuch ein und binde einen Korb dran, dann sollte man damit fliegen können. Und seht, es hat geklappt...." Stolz zeigt er nach oben. "Es wird Zeit, wieder weiter zu fliegen. Begleitest du mich, Quendi?"
"Ich weiß nicht, ob ich meine Freunde hier so einfach zurücklassen kann", sagte sie zögernd. Sie überlegte lange und sagte dann: "Einen kleinen Flug würde ich aber riskieren. Dann komme ich zurück." Luftbezwinger freute sich sichtlich: "Dann kletter schnell hoch. Ich komme gleich." Dann blickte er zu Kaebjorg: "Kurz kannst du mal kurz hoch schauen. Aber dann müssen wir los." An die anderen sagte er: "Euch wünsche ich euch eine gute Weiterreise." Quendi verabschiedete sich und kletterte die Strickleiter hinauf. Dann folgte Luftbezwinger. Der Korb war nun voll und Kaebjorg konnte oben auf der Leiter nur einen Blick in das Gefährt werfen.

Lylla spürte, wie sich ihr alle Haare aufstellten. Erschrocken fuhr sie herum und erkannte erleichtert das eigenwillige Luftschiff in den Himmel steigen. Der Schatten musste sie gestreift oder sie die Bewegung erahnt haben. Vielleicht war das Quendi, die sie da hell rufen hörte, ein fröhliches, glückliches Geräusch. Sie blinzelte und fühlte Tränen an ihren Wimpern kleben. Zitternd durchatmend fühlte sie ihr eigenes Gewicht auf ihren Füßen lasten. Ob man sich da oben auch so schwer fühlte? In der Nähe raschelte es im Gebüsch. Lylla schritt durch die Wiese, die vor Leben nur so summte, und meinte das Gewand ihres Weggefährten zwischen den schattenspendenden Zweigen mehrerer Büsche zu erkennen. "Andrel," rief sie. Und bevor er alles verpasste: "Schau mal nach oben!" Dazu schwenkte sie ihren großen roten Hut und zeigte damit in die Richtung des Ballons.

Überrascht stand Andrel auf und beschattete die Augen mit einer Hand. Was für ein seltsames Fluggerät! Und war das Quendi, die er dort oben lachen hörte?
Er wandte sich um und ging Lylla entgegen, die über die Wiese auf ihn zukam. "Offenbar habe ich einiges verpasst", sagte er schmunzelnd.

Es war wirklich Andrel! Und er nahm die Neuigkeiten so gelassen auf, wie es seine Art war. Lylla lachte ihn herzlich an und deutete dann überrascht auf seinen Beutel. "Ich aber auch! Das scheint eine gute Gegend zu sein. Soll ich dir mit dem Trocknen helfen?" Neugierig ging sie ihm entgegen. Bestimmt könnten sie gleich mal der armen Valeska einen beruhigenden Tee machen.

"Deine Hilfe ist mir überaus willkommen", antwortete Andrel. "Hab Dank, Lylla!" Er legte den Beutel auf die Wiese und holte eine dünnen Garns hervor, um Kräutersträuße zu binden. "Ist das dort oben eins dieser technischen Geräte, für die Quendi sich so erwärmt?", fragte er, während er sich mit untergeschlagenen Beinen auf dem warmen Gras niederließ. Er öffnete den Beutel und begann, die Pflanzen zu sortieren.