1. Akt - Merkwürdige Dinge

Jetzt also auch Raya. Wie die Menschenfrau wohl mit dem Narimbrand klarkommen würde? Sonst trank sie ja nichts. Naja, den ersten würde sie schon drinnen behalten. Kaebjorg wandte sich wieder seiner hübschen Begleitung mit dem prächtigen Bart zu.
"Hey, Thanra", sagte er und merkte dabei, wie seine Zunge zu stolpern begann und die Worte leicht undeutlich herauskamen. "Mit den beiden Mädels fahr ich morgen auf Abenteuer." Er deutete auf Raya und Quendi. "'S geht ans Meer und dann in die Berge. Un' was machst du so? Übrigens, ich bin nur noch heute hier." Er hob seinen Krug. "Prost!" Beim Anstoßen sah er ihr tief in die dunklen Augen. Sowas mochten Frauen doch?! Jedenfalls seine Bekanntschaft vom letzten Monat - die hatte davon gar nicht genug bekommen können... und von ihm später auch nicht...

Gundra reichte Raya das Glas und die Menge begann zu rufen: "Runter damit! Runter damit! Runter damit!"

Raya zögerte nicht lange und blickte dem hässlichen Menschen die ganze Zeit in die Augen, während sie das Übel riechende Gesöff an ihren Mund hielt. Als sie den Narimbrand herunterbrachte fluchte sie innerlich. Sie hatte vergessen wie furchtbar das brennen konnte, äußerlich zeigte sie nur ein leichtes Lächeln.
"Da unser neuer Freund hier die Regeln leicht verbogen hat und statt mir eine Frage zu stellen, eine Wette abgerungen hat, werde ich es ihm nachtun." Sie hoffte ihn genug reizen zu können, sie hatte nämlich keine Lust noch eins dieser Gläser nehmen zu müssen. "Sag mal, Männchen, bist du Manns genug es mit mir aufzunehmen oder lässt du dich lieber von einer Frau vermöbeln?"

Ha! Kaebjorg johlte Applaus, prostete Raya zu und trank einen ordentlichen Schluck Bier. Bisher war es eine prächtige Runde Seemannswetten, genau nach seinem Geschmack. Ohne eine Schlägerei wäre es nur halb so lustig.
Er setzte den Bierkrug ab und sah erstaunt, dass er ihn schon zur Hälfte geleert hatte. Ja, so war das, wenn ein Gidwerg durstig war!

Die Menge jubelte, als Raya den Narimbrand runterschüttete und stehen blieb.
Ganz souverän nahm auch der Sockenmann das Glas, leerte es und hielt sich schwankend auf den Beinen. Jedoch schien er Rayas Worten nicht mehr so ganz folgen zu können.
"Was redschdescht du daar för ein Unschinn, Määdschn. Wasch mascht esch för ein Unnerschidd, obb Fraa oder Mädschn. Öch schlach mech net met Fraan."

Der Sockenmann torkelte gewaltig und bevor Quendi aus dem Weg springen konnte stolperte er nach hinten und trat der Pygmaei auf den linken Fuß. "AUA!", schrie Quendi auf, stieß den Sockenmann von sich der sich verwirrt zu der kleinen Person umdrehte. "Pass doch auf du großer Affe!", rief sie und trat ihm als Gegenleistung ans Schienbein.

Raya hatte schon befürchtet, dass die Sache jetzt ins Nichts verlaufen würde und alle mit dem Trinkspiel weiter machen wollten. Sie spürte schon den Bierdurst, aber sie krempelte die Ärmel hoch und lief hinter dem Sockenmann her. Sie wollte gerade dazu ansetzen, ihn zu beleidigen, da stieß sie mit dem Ellenbogen an einem Tisch neben sich einen Bierkrug um. Der Inhaber des Bierkrugs erhob sich tröpfelnd. Er war bedauerlicherweise einen ganzen Kopf größer als Raya.

Quendi trat dem Sockenmann voll gegen das Schienbein. Der ließ einen Schmerzensschrei hören und versuchte jedoch, diesen schnell zu unterdrücken.
"Du... du.... du...", versuchte er, etwas zu der Pygmaei zu sagen. "Du waaachst esch würklüch? Du truitts nach mür? Daaasch haaascht du nüscht umschonscht gemachdd!"
Schwankend schlug er mit der Faust nach Quendi. Der Schlag war nicht so gut gezielt und die Tüftlerin spürte nur einen Luftzug, als die Faust gute zwei Köpfe über ihr entlang streifte.

Nass vom Bier stand der andere Mann am Tisch und funkelte Raya an. "Ey, du Göre, du hast mein Bier verschüttet. Hol mir sofort ein Neues." Mit diesen Worten nahm der Mann den leeren Bierkrug und warf ihn nach der Lichtwirkerin.

"So, du willst also auf Reisen gehen", sagte Thorna zu Kaebjorg. "Du scheinst aber in guterGesellschaft zu sein. Zwei Frauen auf einmal, ist das nicht zu viel für dich?" Thorna lachte den Gidwerg an. Dann begannen die Streitereien zwischen den Spielenden. "Na, jetzt wird es doch mal interessant...."

Kaebjorg war hin- und hergerissen. Sollte er Quendi zu Hilfe kommen? Oder Raya beschützen? Oder Thanra küssen?
Nachdenken brachte nichts. Er war eindeutig noch zu nüchtern. In einem Zug leerte er die zweite Hälfte seines Biers, und prompt wusste er, was zu tun war.
Quendi brauchte den Sockenmann nur mit dem Finger anzutippen, und er würde vollends umkippen - die brauchte keine Hilfe.
"Los, Thanra, jetz' geht's rund!" Er legte kurz den Arm um die Gidwerg und drückte sie, dann sprang er vom Stuhl auf, schnappte sich seinen leeren Bierkrug und schleuderte ihn in Richtung des Hünen, der Raya bedrohte. Er zielte genau auf die Nase. "Da haste dein Bier, Großmaul!"
Vorsorglich legte er eine Hand an die Lehne seines Stuhls, um nachsetzen zu können.

Ganz geschickt konnte Raya dem geworfenen Krug ausweichen.
Kaebjorg hatte gut gezielt. Der Krug traf dem Mann am Kopf und hinterließ dort eine Platzwunde. Wütend drehte er sich um und nahm den Gidwerg ins Visier. "So, du willst also Ärger habe, Gidwerg?"

Der Sockenmann taumelte, als er sich wieder Quendi zuwenden wollte und brach zusammen.

Kaebjorg dachte an das viele Geld, das Raya immer noch bei sich haben musste, und wollte den wütenden Mann unter allen Umständen von ihr fernhalten. Wenn ihm das gelang, konnte er Gundra auch ohne Probleme ein paar neue Möbel bezahlen. Und mit dem Kerl würde er schon irgendwie fertig werden. Vielleicht konnte er ihn verscheuchen.

Er versicherte sich, dass Thanra ihm zusah, zeigte dem Kerl den Mittelfinger, packte den Stuhl fester und rief: "Ärger? Den bekommste vielleicht von deiner Großmutter! Wenn ICH zu prügeln anfang, springst du freiwillig in den See und schwimmst davon! Machst dir ja jetz' schon fast in die Hosen!"

"Ist ja schon gut", murmelte der Mann. Dann winkte er Gundra heran und bestellte eine Runde Bier für alle. Der Jubel der Menge war ihm gewiss. Vor sich hin brütend, setzte er sich wieder an seinen Platz.

Als der Sockenmann zu Boden ging stupfste ihn Quendi vorsichtshalber nochmal mit der Fußspitze an. Der am Boden Liegende grunzte nur bei dem Stupser, bewegte sich aber sonst keinen Meter. "Der is nur bewuslos..." lallte sie und gesellte sich zu Thorna und Kaebjorg. Mit einem plumps ließ sie sich neben die beiden auf einen freien Stuhl fallen. "Also mir reischt es... isch kann kein Schluck mehr von dem Gesöpf nehmen", murmelte sie und bemerkte, wie ihr langsam die kleinen Augen schwer wurden.

Kaebjorg nahm dankend das Bier von dem Platzwundenmann an und brachte Thorna auch gleich eins mit. Er setzte sich wieder neben sie und sah ihr in die dunklen Augen. "Warste je am Meer, Thanra? Ich verrat' dir'n Geheimnis: Ich halbgarer Seemann hab noch nie das Meer gesehn..."
In dem Moment ließ sich Quendi neben ihn auf einen Stuhl fallen und lallte irgendwas daher.
"Na, Quendi?!" grinste Kaebjorg. "Schaffst du's allein heim? Dann kann ich ja Thanra begleiten!"
Oh, verdammter Wolkenbruch! Hatte er das wirklich laut gesagt? Schüchtern sah er die schöne Gidwergfrau an und wartete auf ihre Reaktion.

Der Rest der Gäste schien das Spiel nicht weiter aufnehmen zu wollen. Sie gaben sich wieder ihren Unterhaltungen hin.

"Am Meer war ich noch nie, der Sternensee ist mir schon groß genug. In einer Woche geht es wieder in die Heimat. Bis dahin schaue ich mir mal noch dieses schwebende Ungeheuer an. Ist ja schon spannend, was es hier so alles gibt", sagte Thorna, die noch ziemlich nüchtern wirkte.
Sie zwinkerte Kaebjorg zu und redete dann weiter: "Du bist ja richtig galant, mein Seemann. Ich denke nur, nach Hause wirst du mich nicht bringen können, du brichst ja morgen auf eine Reise mit deinen Freundinnen auf und Jeram liegt gerade nicht auf deinem Weg, oder? Eigentlich schade, dass du die Gesellschaft anderer Frauen mehr schätzt als meine", neckte sie ihn. Schnell trank sie ihr Bier leer.

Kaebjorg spürte, wie er rot wurde. War es nicht offensichtlich, dass er nur an bärtigen Gidwergfrauen interessiert war?
Mit Wortspielerei und Romantik würde er nicht weiterkommen. Wieso hatte er den Quatsch überhaupt versucht? Das war viel zu kompliziert. Entweder sie wollte, oder sie wollte nicht. Es wurde Zeit, dass er Klartext redete!
"Gundra?", rief er. "Haste mein' zwei Mädels 'n Zimmer für die Nacht? Ich hol sie dann morgen ab."
Dann leerte er ebenfalls seinen Bierkrug und sagte zu Thorna: "Nicht weit von hier hab ich 'n kleines Kellerzimmer. Bist eingeladen für die Nacht - falls du Heimweh hast."
Ohne ihre Antwort abzuwarten, stand er auf, um sich von Raya zu verabschieden. "Schlaf bei Gundra oben. Weißt schon - du bist zu wertvoll, um jetzt noch durch die Stadt zu streunen", flüsterte er ihr zu. "Und nimm Quendi mit!"

Thorna musste Lächeln, als sie Kaebjorg hörte. "Ich habe jetzt keine Lust, soweit zu laufen. Schließlich habe ich hier oben ein Zimmer. Da werde ich mich jetzt hinbegeben. Und hör' auf, mich mit Worten beeindrucken zu wollen. Ich denke, das kannst du besser. Oder warst du zu lange auf einem Schiff unterwegs, um zu noch zu wissen, wie das bei uns üblich ist? Hatte ich nicht gesagt, ich habe Heimweh?" Frech zwinkerte sie ihm zu. Forsch und selbstsicher stieg sie die Stufen hoch. "Zweite Tür rechts!"

In Querdenkerins Kopf drehte sich alles. Es war dringend Zeit fürs Bett. Sie schob sich von ihrem Stuhl und wankte Richtung Treppe. Der Rest würde schon klar kommen, Raya saß gelassen da und Kaebjorg hatte sowieso nur noch Augen für die Gidwergfrau.
"Isch geh schlafen." , lallte sie zum Abschied.

Quendi stolperte die Treppe hinauf und fand auch bald ihr Zimmer.

Währenddessen saß der Dunkle in seinem Versteck und begutachtete die kleine Jadestatue, die er als Zugabe zu dem magischen Schwert erhalten hatte. Schon bald hatte das Potential dieses Kunstwerkes erkannt, konnte es jedoch mit seinen Künsten im Zaum halten. Lange hatte er überlegt, was er damit machen sollte, doch dann kam ihm eine Idee. Schon seit einiger Zeit war ihm eine Person am Fürstenhofe ein Dorn im Auge. Nun, vielleicht konnte er ihn ja so manipulieren....

Raya saß noch eine Weile am Tisch und ließ den Abend Revue passieren. Es war ganz schön knapp gewesen, wie dieses Spiel verlaufen war. Sie erinnerte sich an den Abend, an dem sie mit einer Gauklertruppe, die am Alten Wald vorbei gekommen war, ein Trinkspiel begonnen hatte. Der Rausch hatte ihr so zugesagt, dass sie nicht mehr aufhören wollte. Sie hatte mit einem Gauklermädchen vollkommen besoffen am Trapez herumgeturnt, bis das Mädchen plötzlich wie ein nasser Sack auf den Boden gefallen war.
Sie hatte danach ihren Pflegeeltern nie wieder in die Augen gucken können. Nicht nur, weil sie sich schuldig fühlte, sondern auch weil sie wusste wie sie Rauschmittel verabscheuten. Sie war nicht mehr lange bei Ihnen geblieben. Sie hatte sich einer anderen fahrenden Gruppe angeschlossen. Sie sagte sich, um ihre wahre Herkunft herauszufinden. Mit diesen Gedanken begab sich Raya nach oben in das Himmer, wo Quendi bereits in ihrem Bett schlief. Sie legte sich hin und schloss die Augen. Sie hörte schon die ersten Vöglein zwitschern, bevor der Schlaf sich ihrer erbarmte.

Kaebjorg zwang sich, Thorna nicht hinterherzustarren. Bald würde er genug von ihr sehen. Ihm hätte es auch nichts ausgemacht, wenn sie gleich hier im Schankraum mit der Knutscherei begonnen hätten, aber ach, die Gidwerg und ihre Sitten... Nun, im Zimmer war es ihm auch recht.
Nachdem Thorna fort war, wartete Kaebjorg noch eine Weile. Eigentlich hatte er die restliche Viertelflasche Narimbrand mit nach oben nehmen wollen, aber er konnte sie nicht finden - da war wohl ein anderer schneller gewesen. Also ließ er sich von Gundra einen Literschlauch Bier abfüllen. Daran konnten sie sich erfrischen, wenn nötig. Und wenn nicht - es war immer gut, Bier dabei zu haben.

Kaebjorg stieg die Treppen hoch. Oh, Mist, welche Türe war es gleich gewesen? Die zweite rechts oder die zweite links? Zum Glück gab es auf der linken Seite nur eine Tür, also klopfte er guter Hoffnung an die zweite Türe rechts. Dabei trällerte er in der Sprache der Gidwerg: "Besuch ist da!"

Die Tür zu Thornas Zimmer öffnete sich schnell. "Du hast ganz schön lange gebraucht", säuselte die Gidwerg, als sie dann die Tür hinter Kaebjorg schloss.

22. Ilari'Setoras 1404


Die Nacht verlief ziemlich ruhig (zumindest für einige von euch) und ihr werdet am Morgen geweckt. Quendi hat ziemliche Kopfschmerzen, als sie die Augen öffnete und das helle Licht ihre Sehnerven erreichte. Aus der Schankstube hörtet ihr schon Geräusche der Betriebsamkeit - Zeit den neuen Tag zu beginnen.

Kaebjorg hatte sich in der Wasserschüssel rasch das Gesicht gewaschen und sich angezogen. Er sah noch einmal auf Thorna hinunter, die ihm inzwischen über ihren richtigen Namen aufgeklärt hatte. Mann, hatte die einen tiefen Schlaf! Eigentlich sollte er sich von ihr verabschieden, überlegte er. Aber er war kein Freund von solchen Szenen und eigentlich war er erleichtert, dass sie noch schlief. Irgendwie wusste er nie so recht, was er mit dieser scharfzüngigen Frau reden sollte und musste jedes Mal überlegen, ob sie ihn gerade veralbern wollte oder nicht. Nein, Thorna sollte in Ruhe ausschlafen!
Er streckte sich  - hier und da spürte er ein leichtes Ziehen in den Muskeln -, legte seinen Gürtel mit dem Hammus an, schnappte sich seine Armbrust und verließ den Raum.
Ein schrägtönendes Seemannslied pfeifend latschte er die Treppen hinunter in den Schankraum.

Das Licht des neuen Tages stach sich wie ein scharfer Stein ins Gehirn von Quendi. Innerlich fluchendm, kam sie mit dem wohl größten Kopfschmerz der letzten 10 Jahre zu sich. Sie blinzelte ein paar Mal, konnte aber die Augen nicht ganz öffnen. Langsam versuchte sie sich aufzusetzen und bereute die Bewegung sofort, als ihr Magen eine halbe Drehung machte. Ein scharfer Säuregeschmack kam ihr die Kehle hoch. "Ohhhhh",stöhnte sie und umklammerte die Bettkante.

Nach Minuten, die ihr viel länger vorkamen als sie tatäschlich waren, schleppte sie sich in den Schankraum zurück, in dem Kaebjorg bereits saß und sein Frühstück hinunterschlang. Ihr Magen vollendete die halbe Drehung und sie rannte aus der Schänke heraus. Glücklicherweise waren sie in einem Viertel, in dem auf gute Manieren und Sauberkeit nicht sonderlich geachtet wurde.

Im "Wilden Keiler"

Gundra ist schon auf den Beinen und bereitet das Frühstück für euch vor - frisches Brot, Eier, kalter Braten, Schinken und Honig. Dann kommt sie mit einem Topf mit einer braunen, klebrigen Masse, die süß und fruchtig duftet. "Für meine besonderen Gäste. Das habe ich aus Salos bezogen. Dort gilt es als Delikatesse."
Gundra beachtete Quendi's Ausrutscher nicht weiter. Dann brachte sie jedoch noch ein paar Haferkekse und frisch gebrühten Kräutertee.

Thanmar'Aeternis - Tempel der Dorana

Schwester Amalie stand hinter ihrem Tisch. Andrel stand davor und beobachtete die Menschenfrau. "Unsere Brüder und Schwestern in Nu warten dringend auf dieses Paket, das seltene getrocknete Kräuter aus deiner Heimat enthält, Bruder", sprach die Schwester den Dalorim an. "Es ist wichtig, dass dieses Paket unbeschadet und schnell in Nu eintrifft. Darum vertrauen wir es nicht irgendeinem Kurier an, sondern erteilen dir diesen wichtigen Auftrag. Bist du dir der Wichtigkeit und Dringlichkeit bewußt, Bruder Andrel?"