Gehen wir es mal durch:
- Elfen leben länger als andere Völker - wir leben heute auch schon weitaus länger als Leute im Mittelalter, dank technischen und medizinischen Fortschritts.
- Elfen haben oftmals keine Körperbehaarung - da geht bei uns momentan auch der Mode-Trend hin, wie es scheint...
- Elfen werden von den Angehörigen anderer Völker oftmals als außerordentlich schön wahrgenommen - mit moderner plastischer Chirurgie und Kosmetikprodukten lässt sich auch so einiges machen.
- Elfen üben sich ausgiebig in allerhand Fertigkeiten, inklusive solcher, die hohes körperliches Geschick erfordern - auch bei uns greift vielerorts ein Fitness-Wahn um sich, der jedoch zur Folge hat, dass die Menschen auch länger jung aussehen.
- Folglich sind Elfen jedoch oftmals auch eitel und arrogant, und einige elfische Kulturen scheinen gerade zu besessen von Schönheit (etwa bei Eragon oder bei Magic: The Gathering in der Welt Lorwyn) - gut, dass sie noch keine Selfies entdeckt haben.
- Elfen werden natürlich auch später erwachsen als Menschen - und auch bei uns zeichnet sich ein Trend ab, dass Menschen ihre Kindheit immer weiter "verlängern", geistig jung bleiben, aber dadurch u.U. auch weniger selbstständig.
- Elfen wirken meist ruhig und beherrscht, sie sind das Fantasy-Äquivalent der Vulkanier aus Star Trek, die sich in der Regel gut unter Konrolle haben - auch unsere exekutiven Funktionen haben sich mit einer Vergrößerung der frontalen Hirnareale über die Jahrhunderte hinweg verbessert.
- Elfen leben oft zurückgezogen und meiden die Gesellschaft anderer - einhergehend mit der Vergrößerung der frontalen Areale sind introvertierte Menschen heute häufiger als früher.
- Elfen sind daher tendenziell friedliebend bis pazifistisch. - Auch wir kennen bewaffnete Konflikte größtenteils nur noch aus Geschichtsbüchern und Filmen.
- Dementsprechend betrachten Elfen sich oft als anderen Völkern moralisch und kulturell überlegen. Einige mögen das als rassistisch bezeichnen, doch es bezieht sich mehr auf die Werte und Ansichten einer Zivilisation als auf die ethnische Abstammung. Solch einen Kanon von Grundwerten teilen sich auch die meisten Erste Welt-Länder, und das geht einher mit beurteilbaren Faktoren wie Demokratie, Menschenrechten, Sicherheit und materiellem Wohlstand. Der Gedanke, dass andere Kulturen noch einiges von uns lernen können und zu uns "aufschließen" sollten, ist uns also auch nicht fremd.
- Da sie so selten kämpfen müssen oder oftmals Magie zur Verfügung haben, wenn sie es müssen, sind die meisten Elfen schmaler und zierlicher als Menschen. Und es ist erwiesen, dass auch wir im Durchschnitt im Vergleich zu unseren Vorfahren deutlich an Körperkraft eingebüßt haben - weil wir für unseren beruflichen Erfolg viel stärker auf unsere geistigen Fähigkeiten angewiesen sind als diese.
Man könnte also annehmen: Wenn sich sowohl der Tod als auch der Zeitpunkt des Rückgangs der körperlichen Attraktivität als auch der Zeitpunkt des Erwachsenwerdens sich allesamt nach hinten verlagern - dann nähern wir heutigen Menschen uns den Elfen immer mehr an .
Und jetzt noch einige Eigenschaften, die ich meinen Elfen auf Basis der vorher beschriebenen Faktoren zugeschrieben habe:
- Elfen schätzen individuelle Freiheit als besonders hohes Gut, bis hin zu dem Punkt, dass viele nur noch auf ihre eigenen Sorgen und Bestrebungen fixiert sind. Einen ähnlichen Trend zur Individualisierung sehe ich auch in der heutigen Gesellschaft, was maßgeblich damit zu tun hat, dass fast alles auf Abruf verfügbar ist.
- Elfen sind für gewöhnlich nicht besonders religiös (bei Eragon sogar komplett atheistisch), weil sie aufgrund ihrer Fortschrittlichkeit die Gründe für die Existenz von Religion rational durchdrungen haben. Auch die westlichen Länder sind weitgehend säkularisiert, die Menschen leben Religion als Cherry Picking, anstatt nach dem Wortlaut irgendeiner heiligen Schrift zu leben.
- Elfische Männer und Frauen unterscheiden sich äußerlich kaum voneinander - schmale Statur, lange Haare, keine Gesichts- oder Körperbehaarung, das trifft bei ihnen auf beide Geschlechter zu. Und hier liegt der Knackpunkt dieser vermeintlich so fortschrittlichen Gesellschaft:
Denn je mehr die beiden Geschlechter sich einander angleichen, desto mehr geht jedem von ihnen das verloren, was das andere ursprünglich an ihnen attraktiv fand. - Das Resultat ist ein Rückgang der Geburtenraten - und der ist auch in vielen westlichen Ländern zu beobachten.
Am Ende des ersten Teils fällt in meiner Geschichte der Satz "Alvae musculi decores sunt." (Ja, ich benutze einfach Latein als Drakonisch, die Sprache der Drachen, wie es auch im PC-Spiel Divinity II: The Dragon Knight Saga gemacht wird .) Davon ausgehend, dass alva, -ae (f.) die Grundform des Wortes für "Elf" ist, kann man diesen Satz auf zwei Weisen übersetzen:
- "Eine Elfe hat schwache Muskeln." (alvae = Dativ Singular mit possessiver Bedeutung von "sunt")
- "Elfen sind schöne Mäuse." (alvae = Nominativ Plural)
Wenn sich hier irgendwo Lateinlehrer tummeln, denen ein besseres Wort anstelle von "decores" einfällt, immer nur her damit! Wichtig ist, dass es gleichzeitig sowohl "schön" als auch "schwach" bedeuten kann, so wie das englische Wort "fair".
Der Satz ist eine Anspielung auf das Mäuse-Utopia-Experiment von John B. Calhoun ("Universe 25"), der in Bezug auf mehrere Arten von Nagetieren das wissenschaftlich nachgewiesen hat, was ich mir für meine Elfen schon seit längerem als Dilemma vorgestellt hatte: In dem Moment, wo eine Zivilisation nahe an die Perfektion herankommt, wo alle das maximale mögliche Ausmaß an Freiheit, Sicherheit, Wohlstand und Rechten genießen - stirbt sie aus. Humanismus und Evolution vertragen sich nicht. Nicht erst seit dem Pillenknick, sondern im Prinzip schon seit man im alten Rom Schweineblasen als Kondome verwendet hat, könnte man auf die Idee kommen, dass der Homo sapiens eigentlich keinen Bock auf Evolution hat - und wenn man den Leuten die Wahl lässt, was wir ja aus humanistischer Sicht alle befürworten, dann wird sich eine kritische Masse gegen diese von der Natur ungefragt aufgebürdete Pflicht entscheiden.
Das kriegen wie gesagt selbst Mäuse und Ratten hin. Für diejenigen, die das Mäuse-Utopia-Experiment nicht kennen:
Calhoun hat hier zwischen den 1960ern und 1970ern für Mäuse und Raten Umgebungen geschaffen, in denen sie alles vorfanden, was sich eine Maus oder eine Ratte hätte wünschen können: Unlimitierten Zugang zu Nahrung und Wasser, ausreichend Platz und Material zum Nestbau und eine Abwesenheit sämtlicher Fressfeinde. Der einzige limitierende Faktor war der Platz, wobei vorher jedoch berechnet wurde, wie viele Mäuse maximal hineinpassen würden. Spoiler: Diese maximale Auslastungskapazität wurde de facto gar nicht erst erreicht.
Dann wurden vier Männchen und vier Weibchen in das Gehege gesetzt und einfach nur beobachtet. Anfangs verdoppelte sich die Bevölkerung alle paar Monate, irgendwann jedoch stagnierte sie. Obwohl die Essens- und Wasservorräte überall im Gehege gleich verteilt waren, nesteten in zwei Bereichen viel mehr Mäuse als in anderen - weil dort die begehrtesten Männchen waren. Die anderen beiden Viertel blieben weitgehend verwaist; dort und in der Mitte des Geheges tummelten sich dann quasi die, die keine Partnerinnen abbekommen hatten.
Irgendwann fingen sie an, aufeinander loszugehen - teilweise, um sich zu attackieren, teilweise, um sich gegenseitig zu bespringen, unabhängig vom Geschlecht. Die Weibchen wiederum wurden ebenfalls aggressiver und verstießen ihre Nachkommen, bevor diese dafür bereit waren. Das Resultat war eine Generation von Mäusen, denen es gravierend an sozialen Kompetenzen mangelte: Weibchen, die kaum noch über die Fähigkeit verfügten, Nachkommen auszutragen, und Männchen, die nicht das geringste Interesse an den Weibchen hatten.
Deshalb kämpften sie auch nicht mit anderen Männchen und hatten dementsprechend keine Narben - das waren die besagten "schönen Mäuse" (="the beautiful ones"). Diese verbrachten den ganzen Tag nur mit Essen, Trinken, Schlafen und Sich-Putzen - alles Solo-Aktivitäten. Selbst, wenn man sie aus dem Gehege herausnahm und mit normalen, gesunden Weibchen zusammenbrachte, unternahmen sie keinen Annäherungsversuch.
Nach etwa drei Jahren endete das Experiment - weil keine neuen Nachkommen mehr geboren worden waren. Die Mäusezivilisation war ausgestorben.
In meine Geschichte fließt das über den Illithiden ein (aus D&D, ein Tintenfisch-köpfiger Humanoid, der sich von Gehirn ernährt und dementsprechend ein Neuro-Experte ist): Dieser hält sich eine Gruppe von Mäusen und Ratten für seine Experimente - und beobachtet dann irgendwann zufällig derartiges Verhalten. In dem Zusammenhang fällt auch der oben erwähnte lateinische Satz.
Jetzt ist es eine heiß diskutierte Frage, inwiefern sich das überhaupt auf humanoide Lebensformen übertragen lässt. Aber der Gedanke liegt nicht fern, dass wir ja nun Jahrhunderte lang in einem ständigen Streben nach Verbesserung steckten, dass wir mit Mangelzuständen besser umgehen können als mit Überfluss, weil letzterer in der freien Natur einfach nicht vorkommt. Dass wir nicht dafür geschaffen sind, in so gewaltigen Menschenansammlungen auf einem Fleck zu leben und uns dann wieder eher nach Ruhe und Abgeschiedenheit sehnen (Stichwort Introversion). Und wenn das Streben eben irgendwann aufhört, weil die Perfektion schon erreicht ist - dann gibt es ja auch nichts mehr, was die nächste Generation, die dann bereits in völligem Überfluss aufwächst, noch besser machen oder erreichen könnte. Also kann man auch genauso gut ins Nirvana eintreten. Bei Bernhard Hennens "Die Elfen" gibt es diese Idee ja auch schon, mit dem "Ins-Mondlicht-Gehen", wo Elfen mehr oder weniger freiwillig ihre eigene Existenz aufgeben.
Man könnte fast meinen, die Natur hält ihre eigene Normalverteilung aufrecht, indem sie immer am oberen Ende etwas wegnimmt. Und wenn irgendjemand zu hoch zu fliegen versucht, dann schmelzen dem Ikarus die Flügel und er wird ganz aus dem Spiel genommen.
Als Autor kann man auf diese Weise natürlich auch hervorragend erklären, warum es heute keine Elfen mehr gibt . Gleichzeitig kann man dem vermeintlich perfekten Volk eine Schattenseite geben, und auch noch eine potentiell weise Warnung ausgeben, dass die Menschheit vielleicht eines Tages auf ein ähnliches Schicksal zusteuern könnte.