Ich habe mich schon gefragt, wie dieses Thema an mir vorbeigegangen ist. Dabei ist es doch ziemlich nah dran an dem, was ich meinem Fantasy-Bösewicht in den Mund gelegt habe.
Aber dann habe ich gesehen, dass der Thread von 2017 ist, also bevor ich dem Forum beigetreten bin. Hexe schrieb:Oder meint ihr, das Thema hat einen besonderen Reiz, der es zeitlos macht?
Ja, hat es - der Mensch fürchtet seine eigene Sterblichkeit entweder, oder er hat eine morbide Faszination von ihr. Kurz nach Jesus' Tod rechnete man schon mit der baldigen Wiederkehr des "Erlösers", zusammen mit dem Tag des Jüngsten Gerichts. Im Mittelalter war die Erwartung ebenfalls oft präsent, deshalb haben sich die Menschen ja so vom "Weltlichen" abgewandt, in der Hoffnung auf ein besseres Leben nach dem Tod. Damit konnte die Kirche sie natürlich auch ausgezeichnet in der Gegenwart ausnutzen, die Armut heilig sprechen und die Bevölkerung auf das nächste Leben vertrösten, während man selbst sich im Diesseits bereicherte.
Interessanterweise nimmt mittlerweile auch die christliche Kirche für sich oft in Anspruch, die Religion des Leids zu sein, bzw. die, die das Leben an sich als Leid ansieht. Ich für meinen Teil habe das immer für eine Signatur-Behauptung des Buddhismus gehalten. Aber vor dem Hintergrund der mittelalterlichen Lebenswirklichkeit ergibt es deutlich mehr Sinn.
Unabhängig davon: Wenn zwei so unterschiedliche Religionen da unabhängig voneinander drauf kommen, man solche Überlegungen also "kulturübergreifend" findet, kann man auch mal für 2,50 € drüber nachdenken, ob das vielleicht was dran ist.
In der jüngeren Zeit dürfte es wohl im 20. Jahrhundert die Angst vor dem Atomkrieg gewesen sein, jetzt ist es aktuell die vor dem Klimawandel. Irgendwann macht wahrscheinlich der gute alte Meteoriteneinschlag sein großes Comeback. Immerhin auch noch etwas, dass wir mit unseren heutigen technischen Methoden zumindest theoretisch in den Griff bekommen könnten.
Gut, dass die meisten Menschen noch nie etwas von Gammablitzen gehört zu haben scheinen... Ich wäre auf jeden Fall mal für mehr realistische Weltuntergangsszenarien in Geschichten, weil ich dieser Aussage hier voll und ganz zustimme:
Hexe schrieb:Andererseits ist die Weltuntergangsvorstellung, die in diesen Büchern verwendet wird, doch eigentlich furchtbar überspitzt und nicht sonderlich realistisch.
Der
Vulkan im Yellowstone National Park ist ja auch noch da, von dem heißt es immer wieder, er könnte uns in eine neue Eiszeit stürzen oder Schlimmeres, wenn er nochmal ausbricht.
Oder es könnte ein
heimatloser Stern an unserem Sonnensystem vorbeiziehen (sogenannte "Rogue Stars" oder "Rogue Planets", dazwischen wären die sogenannten braunen Zwerge). Und damit alle Schwerkraftverhältnisse innerhalb unseres Sonnensystems durcheinanderbringen.
Eine
Supernova in ausreichender Nähe ginge auch noch - der
Gammablitz ist dagegen auch auf deutlich größere Distanz noch gefährlich, sofern er uns denn trifft.
Und zu guter Letzt bleibt da immer noch der
rote Riese, wenn einem nichts anderes einfällt.
Oder wahlweise der
Big Rip oder der "
Heat Death" am Ende des Universums...
Aber wahrscheinlich ist das genau der Grund, warum die Leute nicht so gerne realistische Untergangsszenarien lesen: "Hits too close to home".
PeryRhodan schrieb:Was hat der Antagonist aber davon, wenn hinterher alles weg ist.
Da dieser Thread vor meiner Zeit hier im Forum entstanden ist, verstehe ich, dass noch niemand diese Perspektive beigesteuert hat.
Die gängigste mir bekannte übergreifende philosophische Richtung heißt:
Negativer Utilitarismus
Thanos wie im Film (Infinity War / Endgame) dargestellt etwa wäre ein klassisches Extrembeispiel: Er würde sogar die Hälfte aller lebenden Wesen im Universum auslöschen, damit die andere Hälfte genug Resourcen zum Überleben hat, ihnen also das Leid erspart wird, Mangelzustände zu erleben. Ist aber eine inkonsequente Motivation, da er dadurch ja andere Mangelzustände erzeugt - nämlich den Verlust nahestehender Personen.
Wenn seine Motivation im Comic sein sollte, dass er die Göttin des Todes liebt - sorry, liebe Comic-Fans, aber das ist noch deutlich schwächer. Es sei denn natürlich, das ist alles nur "metaphorisch gemeint", und Thanos ist eigentlich nur jemand mit Todessehnsucht. Dann könnte er sich aber auch einfach selbst in die ewigen Jagdgründe schnipsen.
Wenn ein Antagonist soweit geht, das Auslöschen der gesamten Menschheit anzustreben (eine Motivation, die z.B. künstlichen Intelligenzen immer mal wieder gerne verpasst wird, so wie Robotern, die ihre Erbauer auslöschen), unterscheidet der südafrikanische Philosoph David Benatar zwischen:
- philanthropischen Argumenten (Vermeidung von Leid durch Nichtexistenz, also so wie Thanos)
- misanthropischen Argumenten (Vermeiden von Schaden, den eine Gruppe / Zivilisation ansonsten verursachen würde bzw. aktuell bereits verursacht)
Bei den misanthropischen Argumenten können entweder persönliche niedere Motive zum Tragen kommen, die ja hier schon besprochen wurden (Hass, Rachsucht etc.), oder aber rationales Kalkül. Ein Beispiel auf individueller Ebene wäre hier
- Star Wars:
Palpatine sagt Anakin, Count Doku sei "zu gefährlich, um am Leben gelassen zu werden". Sein Tod wird also durch Schadensvermeidung / "Gefahr im Verzug" gerechtfertigt.
Wenn also eine Roboterarmee ihre Erbauer tötet, könnte das aus Rachegedanken dafür passieren, dass die Erbauer sie als Diener "versklavt" haben. Oder aber die künstlichen Intelligenzen kommen rein rational zu dem Schluss, dass Menschen Expansionstendenzen haben, also Eroberer in-spe sind, und damit noch anderen Schaden zufügen könnten, wenn die Roboter sie nicht aufhalten.
Bei künstlichen Intelligenzen (aber auch z.B. bei Untoten, wie etwa den weißen Wanderern) funktionieren solche Motivationen immer besonders gut, da man im Gegensatz zu menschlichen Bösewichten bei ihnen nicht unbedingt davon ausgehen muss, dass sie selbst einen Überlebensinstinkt haben. Die würden also zum Erreichen ihres Ziels auch die eigene Vernichtung in Kauf nehmen, bzw. ggf. sogar aktiv anstreben. Letzteres dann entweder, indem sie sich selbst "überflüssig machen", oder aber, weil sie selbst noch in irgendeiner Weise an ihrer Existenz leiden. Letztendlich ist das ja auch der Grund, warum viele Amokläufe mit dem Selbstmord des Täters enden.
Ich persönlich halte die misanthropischen Argumente meist für zu kurz gegriffen. Vielmehr sind sie "eingebettet" in die philanthropischen:
Auch jeder Bösewicht kam als unschuldiges Kind auf die Welt. Und dann ist es halt ausreichend schlecht für ihn gelaufen, um ihn auf die schiefe Bahn zu bringen.
Joaquin Phoenixs "Joker" hat das sehr eindrucksvoll dargestellt. Deshalb war der Film auch so ein Albtraum an kognitiver Dissonanz für alle Selbstgerechten auf dieser Welt, und bot umgekehrt eine gewisse Validierung für die Deterministen...
Menschliche Bösewichte hingegen, zumindest solche, deren Verhalten man gerade über ihren Genuss für weltliche Freuden nachvollziehen kann, funktionieren mit dieser Weltsicht (negativer Utilitarismus) nicht.
Das sind eigentlich eher egoistische Hedonisten. Also Maximierung der eigenen Freude auf Kosten anderer, anstatt Minimierung des Leids aller (selbst auf Kosten der Existenz an sich).
Da der Threadersteller ihn bereits erwähnt hat (endlich mal noch jemand außer mir, der sich auf das Schwert der Wahrheit bezieht):
- Darken Rahl in der Fernsehserie "Legend of the Seeker" etwa...- Legend of the Seeker, Season 2:
...wendet sich im Laufe der zweiten Staffel vom Hüter der Unterwelt ab, weil er die weltlichen Freuden vermisst. Inklusive seiner Vergnügungen mit diversen Sklavinnen und seinen Mord-Sith. So wird er dann zum unverhofften Verbündeten von Richard, Kahlan, Cara und Zedd.
- Das andere Beispiel, was ich hier gerne zitiere, ist der
Kingpin aus der Spider-Man-Zeichentrickserie aus den frühen 90ern. Also ein klassischer Gangsterboss, der in der Verkleidung eines reichen Geschäftsmannes lebt. Und dem man an seiner Erscheinung ansieht, dass er kulinarischen Freuden nicht abgeneigt ist.
In der Folge "The Spot" droht die Erde von außer Kontrolle geratenen künstlichen schwarzen Löchern verschluckt zu werden. Der Kingpin stellt Spider-Man & Co. seinen Jet zur Verfügung, um an das größte der schwarzen Löcher heranzukommen, sodass der Charakter namens Spot es schließen kann. Auf die Frage seines Lakaien, warum er auf einmal den Superhelden helfe, antwortet der Kingpin:
"Mit der Zerstörung des Planeten lässt sich leider kein Profit machen. Das ist sehr schlecht fürs Geschäft".