Hinter tausend Gesichtern (Fantasy-Anthologie):
Der Dämon Ipamis wandelt über die Welt, unsterblich und unersättlich in seinen Begierden und seiner inneren Zerrissenheit. Getrieben von dem Verlangen, seine Natur und den Sinn seines ewigen Daseins zu erkennen, sucht er die Reflexionen seiner selbst in den Seelen der Menschen, deren vergänglicher und armseliger Existenz doch eine Tiefe und Bedeutung innewohnt, die er in seinem eigenen Herzen nicht zu finden vermag. Liebe und Mut, Opferbereitschaft und unbedingter Wille zum Leben, die gerade im Angesicht des eigenen unausweichlichen Endes am hellsten zu strahlen scheinen – all dies sind Empfindungen, die ihm fremd und rätselhaft sind und deren Existenz ihn mit einer verzehrenden und unstillbaren Rastlosigkeit erfüllt. Auf der verzweifelten Suche nach Antworten auf seine Fragen macht er sich selbst zum Werkzeug der Menschen, zu einem willigen Erfüllungsgehilfen ihrer niederen und egoistischen Bedürfnisse, während er sie zugleich für ihre Schwäche verachtet und mitleidlos und grausam für seine eigenen Zwecke missbraucht. Er dringt in ihre Gedanken ein, manipuliert und verdreht ihre Gefühle und Wahrnehmungen, tötet aus Vergnügen und Langeweile, weil sie ihm nicht das geben können, was allein seiner ruhelosen Seele Frieden schenken würde. Gefangen in einer Welt, die er nicht versteht, und verdammt zur immerwährenden Wiederkehr, wird er zu einem düsteren Gott, gleichermaßen angebetet wie gefürchtet, dessen unheilvolles Wirken sich durch die Geschichte der Menschheit zieht.
Dieses Wirken des Dämons Ipamis in seinen unterschiedlichen Facetten ist das Thema der vorliegenden Fantasy-Anthologie, deren Titel „Hinter tausend Gesichtern“ bereits programmatisch den größeren Rahmen aufspannt, in dem sich die einzelnen Geschichten und – für eine Anthologie eher untypisch – Gedichte der Autorinnen und Autoren dieses Bandes bewegen. Er ist das Ergebnis einer (meines Wissens bisher einzigartigen) Zusammenarbeit von acht Autoren und Illustratoren, die sich über ein Online-Fantasyforum kennengelernt und in einem kreativen Gemeinschaftsprojekt den Dämon Ipamis und seine Welt zum Leben erweckt haben. Die Bandbreite dieses Autoren-Teams reicht dabei von alten und erfahrenen Schreibhasen (und Häsinnen) bis hin zu einer gerade einmal 14jährigen Jung-Autorin, die Ipamis und seiner Persönlichkeit auf ihre ganz eigene jugendlich-ungestüme Weise Gestalt verleiht.
Dieses breite Spektrum an Sichtweisen auf und Herangehensweisen an die Thematik sorgt bei der Lektüre jeder Geschichte für viel Abwechslung und garantiert einen gleichbleibend hohen Unterhaltungswert. Dabei geht die Entscheidung, den Dämon Ipamis gerade nicht – was sehr leicht gewesen wäre – als eindimensionale Klischeefigur zu entwerfen, die stets nur Böses will und Böses schafft, sondern ihm eine vielschichtige Persönlichkeit und Bedürfnisstruktur zu verleihen, voll auf. Es ist spannend zu lesen, wie sich jeder der Autoren diesen komplexen Charakter des Dämons auf seine eigene, ganz individuelle Weise für seine Geschichten erschließt. Das reicht vom dunklen und geheimnisvollen Raunen, das beinahe melancholisch durch die Zeilen weht, in Helmut Leibelings Prolog „Wie der frisch gefallene Schnee“, über die bunten Farben und kraftvollen Pinselstriche der erst 14jährigen Emilia White, die in ihrer Geschichte ihre Hauptfigur zu einem menschlichen Phönix werden lässt, bis zu den deutlich vom Geist des Zen-Buddhismus geprägten Geschichten Thomas T. Hohns und der wie eine düstere Hommage an Mary Shelley’s „Frankenstein“ und Edgar Allan Poes „Untergang des Hauses Usher“ wirkenden Geschichte „Der Flüsterer im Gebälk“ von Helmut Leibeling.
Neben diesen sehr unterschiedlichen Herangehensweisen und Stilrichtungen zeichnen sich die meisten Geschichten darüber hinaus auch durch überraschende und teilweise bitterböse Wendungen und Endplots aus. Hier ist mir vor allem Jara Boysons „Begierde“ nachdrücklich im Gedächtnis geblieben (mit einem Ende, das für mich ebenso unerwartet wie fies war), und auch Helmut Leibelings „Für die Liebe des Nichts“ und Thomas T. Hohns „Die Stadt der Toten“ stehen dem in Nichts nach. So ist die Anthologie (wie es auch die Autoren in ihrem Nachwort schreiben) sicherlich zu Recht im Genre der Dark Fantasy angesiedelt.
Erfreulich ist zudem, dass die Autoren in ihren Geschichten nicht auf platte und vordergründige Action setzen, sondern die moralischen und psychologischen Dilemmata Ipamis‘ und der menschlichen Protagonisten in den Mittelpunkt stellen. Hier geht es um Verantwortung und Schuld, den Sinn des Lebens und das Wesen der Liebe, um Schöpferkraft und seelische Verkrüppelung. Der Ton der meisten Geschichten ist ebenso subtil wie unaufdringlich, und wie in jeder guten Kurzgeschichte werden mehr Fragen gestellt als beantwortet, so dass der Leser durchaus an einigen Stellen zum Nachdenken auch über die eigentliche Lektüre hinaus angeregt wird.
Kritisch mag man anmerken, dass die starke Fokussierung auf die individuelle Kreativität der einzelnen Autoren ein wenig zu Lasten einer inneren Geschlossenheit geht. Die genauen Grenzen und Möglichkeiten des Dämons Ipamis fügen sich am Ende nicht wirklich zu einem Gesamtbild zusammen. In der einen Geschichte ist er jemand, der bereits beim Tirilieren eines Vogels zum entrückten Träumer wird, in der anderen birst er wie ein titanenhaft-monströses Godzilla-Pendant aus dem Höhlenboden, um sich einem klerikalen Ritter zum Kampf zu stellen. Auch die Fantasy-Welt, in der die Geschichten angesiedelt sind, wird mit ihren gesellschaftlichen Gegebenheiten und natürlichen Gesetzmäßigkeiten lediglich vage und eher zweckmäßig skizziert, ebenso wie die kulturellen Veränderungen dieser Welt im Laufe der Jahrhunderte während der wiederholten Wiederkehr des Dämons nur angedeutet werden und für die Geschichten selbst nicht wirklich Relevanz gewinnen.
Das alles macht aber nichts, denn zum einen geraten hier Kurzgeschichten – die ja ohnehin von Natur aus mehr plot-orientiert als auf epische Breite der Darstellung angelegt sind – schnell an ihre Grenze, zum anderen steht die jeweils spezifische Auseinandersetzung zwischen Mensch und Dämon so sehr im Mittelpunkt der Storys, dass zu ausführliche Ausschmückungen und Details mehr vom eigentlichen Thema abgelenkt als einen Zugewinn an Intensität und atmosphärischer Dichte gebracht hätten.
Alles in allem hat mir die Lektüre der Anthologie großen Spaß gemacht, mich zu keinem Zeitpunkt gelangweilt und – bedenkt man, dass die Autoren keinen großen Verlag mit seinen immensen Möglichkeiten im Rücken hatten – mit der durchgehend hohen Qualität der Geschichten überrascht. Auch wenn 12,90 Euro für 155 Seiten gewiss nicht wenig sind (ein Umstand, mit dem alle Autoren, die in einem Klein-Verlag veröffentlichen, aus eigener leidvoller Erfahrung bestens vertraut sind), sollten alle Leser, die vom Fantasy-Mainstream und der Ideenlosigkeit vieler zu epischer Länge ausgewalzter High-Fantasy-Romane gelangweilt sind, dennoch unbedingt einmal einen Blick riskieren. Die Autoren zünden hier auf relativ wenigen Seiten ein Feuerwerk an originellen und philosophisch tiefgründigen Ideen, das auf alle Fälle eine breite Leserschaft verdient hätte.
Der Dämon Ipamis wandelt über die Welt, unsterblich und unersättlich in seinen Begierden und seiner inneren Zerrissenheit. Getrieben von dem Verlangen, seine Natur und den Sinn seines ewigen Daseins zu erkennen, sucht er die Reflexionen seiner selbst in den Seelen der Menschen, deren vergänglicher und armseliger Existenz doch eine Tiefe und Bedeutung innewohnt, die er in seinem eigenen Herzen nicht zu finden vermag. Liebe und Mut, Opferbereitschaft und unbedingter Wille zum Leben, die gerade im Angesicht des eigenen unausweichlichen Endes am hellsten zu strahlen scheinen – all dies sind Empfindungen, die ihm fremd und rätselhaft sind und deren Existenz ihn mit einer verzehrenden und unstillbaren Rastlosigkeit erfüllt. Auf der verzweifelten Suche nach Antworten auf seine Fragen macht er sich selbst zum Werkzeug der Menschen, zu einem willigen Erfüllungsgehilfen ihrer niederen und egoistischen Bedürfnisse, während er sie zugleich für ihre Schwäche verachtet und mitleidlos und grausam für seine eigenen Zwecke missbraucht. Er dringt in ihre Gedanken ein, manipuliert und verdreht ihre Gefühle und Wahrnehmungen, tötet aus Vergnügen und Langeweile, weil sie ihm nicht das geben können, was allein seiner ruhelosen Seele Frieden schenken würde. Gefangen in einer Welt, die er nicht versteht, und verdammt zur immerwährenden Wiederkehr, wird er zu einem düsteren Gott, gleichermaßen angebetet wie gefürchtet, dessen unheilvolles Wirken sich durch die Geschichte der Menschheit zieht.
Dieses Wirken des Dämons Ipamis in seinen unterschiedlichen Facetten ist das Thema der vorliegenden Fantasy-Anthologie, deren Titel „Hinter tausend Gesichtern“ bereits programmatisch den größeren Rahmen aufspannt, in dem sich die einzelnen Geschichten und – für eine Anthologie eher untypisch – Gedichte der Autorinnen und Autoren dieses Bandes bewegen. Er ist das Ergebnis einer (meines Wissens bisher einzigartigen) Zusammenarbeit von acht Autoren und Illustratoren, die sich über ein Online-Fantasyforum kennengelernt und in einem kreativen Gemeinschaftsprojekt den Dämon Ipamis und seine Welt zum Leben erweckt haben. Die Bandbreite dieses Autoren-Teams reicht dabei von alten und erfahrenen Schreibhasen (und Häsinnen) bis hin zu einer gerade einmal 14jährigen Jung-Autorin, die Ipamis und seiner Persönlichkeit auf ihre ganz eigene jugendlich-ungestüme Weise Gestalt verleiht.
Dieses breite Spektrum an Sichtweisen auf und Herangehensweisen an die Thematik sorgt bei der Lektüre jeder Geschichte für viel Abwechslung und garantiert einen gleichbleibend hohen Unterhaltungswert. Dabei geht die Entscheidung, den Dämon Ipamis gerade nicht – was sehr leicht gewesen wäre – als eindimensionale Klischeefigur zu entwerfen, die stets nur Böses will und Böses schafft, sondern ihm eine vielschichtige Persönlichkeit und Bedürfnisstruktur zu verleihen, voll auf. Es ist spannend zu lesen, wie sich jeder der Autoren diesen komplexen Charakter des Dämons auf seine eigene, ganz individuelle Weise für seine Geschichten erschließt. Das reicht vom dunklen und geheimnisvollen Raunen, das beinahe melancholisch durch die Zeilen weht, in Helmut Leibelings Prolog „Wie der frisch gefallene Schnee“, über die bunten Farben und kraftvollen Pinselstriche der erst 14jährigen Emilia White, die in ihrer Geschichte ihre Hauptfigur zu einem menschlichen Phönix werden lässt, bis zu den deutlich vom Geist des Zen-Buddhismus geprägten Geschichten Thomas T. Hohns und der wie eine düstere Hommage an Mary Shelley’s „Frankenstein“ und Edgar Allan Poes „Untergang des Hauses Usher“ wirkenden Geschichte „Der Flüsterer im Gebälk“ von Helmut Leibeling.
Neben diesen sehr unterschiedlichen Herangehensweisen und Stilrichtungen zeichnen sich die meisten Geschichten darüber hinaus auch durch überraschende und teilweise bitterböse Wendungen und Endplots aus. Hier ist mir vor allem Jara Boysons „Begierde“ nachdrücklich im Gedächtnis geblieben (mit einem Ende, das für mich ebenso unerwartet wie fies war), und auch Helmut Leibelings „Für die Liebe des Nichts“ und Thomas T. Hohns „Die Stadt der Toten“ stehen dem in Nichts nach. So ist die Anthologie (wie es auch die Autoren in ihrem Nachwort schreiben) sicherlich zu Recht im Genre der Dark Fantasy angesiedelt.
Erfreulich ist zudem, dass die Autoren in ihren Geschichten nicht auf platte und vordergründige Action setzen, sondern die moralischen und psychologischen Dilemmata Ipamis‘ und der menschlichen Protagonisten in den Mittelpunkt stellen. Hier geht es um Verantwortung und Schuld, den Sinn des Lebens und das Wesen der Liebe, um Schöpferkraft und seelische Verkrüppelung. Der Ton der meisten Geschichten ist ebenso subtil wie unaufdringlich, und wie in jeder guten Kurzgeschichte werden mehr Fragen gestellt als beantwortet, so dass der Leser durchaus an einigen Stellen zum Nachdenken auch über die eigentliche Lektüre hinaus angeregt wird.
Kritisch mag man anmerken, dass die starke Fokussierung auf die individuelle Kreativität der einzelnen Autoren ein wenig zu Lasten einer inneren Geschlossenheit geht. Die genauen Grenzen und Möglichkeiten des Dämons Ipamis fügen sich am Ende nicht wirklich zu einem Gesamtbild zusammen. In der einen Geschichte ist er jemand, der bereits beim Tirilieren eines Vogels zum entrückten Träumer wird, in der anderen birst er wie ein titanenhaft-monströses Godzilla-Pendant aus dem Höhlenboden, um sich einem klerikalen Ritter zum Kampf zu stellen. Auch die Fantasy-Welt, in der die Geschichten angesiedelt sind, wird mit ihren gesellschaftlichen Gegebenheiten und natürlichen Gesetzmäßigkeiten lediglich vage und eher zweckmäßig skizziert, ebenso wie die kulturellen Veränderungen dieser Welt im Laufe der Jahrhunderte während der wiederholten Wiederkehr des Dämons nur angedeutet werden und für die Geschichten selbst nicht wirklich Relevanz gewinnen.
Das alles macht aber nichts, denn zum einen geraten hier Kurzgeschichten – die ja ohnehin von Natur aus mehr plot-orientiert als auf epische Breite der Darstellung angelegt sind – schnell an ihre Grenze, zum anderen steht die jeweils spezifische Auseinandersetzung zwischen Mensch und Dämon so sehr im Mittelpunkt der Storys, dass zu ausführliche Ausschmückungen und Details mehr vom eigentlichen Thema abgelenkt als einen Zugewinn an Intensität und atmosphärischer Dichte gebracht hätten.
Alles in allem hat mir die Lektüre der Anthologie großen Spaß gemacht, mich zu keinem Zeitpunkt gelangweilt und – bedenkt man, dass die Autoren keinen großen Verlag mit seinen immensen Möglichkeiten im Rücken hatten – mit der durchgehend hohen Qualität der Geschichten überrascht. Auch wenn 12,90 Euro für 155 Seiten gewiss nicht wenig sind (ein Umstand, mit dem alle Autoren, die in einem Klein-Verlag veröffentlichen, aus eigener leidvoller Erfahrung bestens vertraut sind), sollten alle Leser, die vom Fantasy-Mainstream und der Ideenlosigkeit vieler zu epischer Länge ausgewalzter High-Fantasy-Romane gelangweilt sind, dennoch unbedingt einmal einen Blick riskieren. Die Autoren zünden hier auf relativ wenigen Seiten ein Feuerwerk an originellen und philosophisch tiefgründigen Ideen, das auf alle Fälle eine breite Leserschaft verdient hätte.