von Susanne Gavenis Mo Jul 14, 2014 6:44 pm
Ich habe eben auch noch mal ein wenig über Sabines Idee nachgedacht. Der Grundgedanke ist für mich sehr faszinierend, allerdings würde das bedeuten, zwei komplette Leserunden sozusagen gleichzeitig und parallel laufen zu lassen - was sicherlich sowohl an die Teilnehmer, aber vor allem an die Lesegruppen-Leiter höhere Ansprüche stellen würde, da immer beide Bücher simultan miteinander verglichen werden müssten. Diese Leserunden sollten, wenn wir es so machen, erst einmal von Teilnehmern geleitet werden, die die Bücher schon komplett kennen (im Idealfall die Autoren selbst, die ja mit den ganzen Überlegungen und Entscheidungen hinsichtlich Figurenentwicklung und Handlungsplanung am besten vertraut sind), um eine solche parallele Leserunde vernünftig steuern zu können. Die Frage ist allerdings, wie fruchtbar wir in einer solchen parallelen Leserunde über die beiden Geschichten diskutieren können, wenn wir jeweils mit dem Einstieg fertig sind (an dem sich ja noch ganz gut unterschiedliche Herangehensweisen an den Beginn einer Geschichte aufzeigen und miteinander vergleichen lassen), da beide Geschichten ja vollständig unterschiedlich wären. Interessanter wäre m.E. (und leider völlig unmöglich), dieselbe Geschichte, die von zwei Autoren unabhängig voneinander geschrieben worden wäre, in einer Leserunde einander gegenüberzustellen und darüber zu diskutieren, wie die Autoren die gleichen Vorgaben jeweils unterschiedlich umgesetzt haben. Lust auf eine parallele Leserunde mit zwei Büchern gleichzeitig hätte ich durchaus, es wäre auf jeden Fall eine interessante Erfahrung.
@Lucy: Ich denke, bei einer Diskussion über solche handwerklichen und konzeptionellen Aspekte einer Geschichte bräuchtest du dir keine Sorgen zu machen, dass du zu wenig Übung darin hast. So eine Leserunde wäre ja auch dazu da, den Blick gerade für solche Dinge zu schärfen und die vagen Gefühle, die man beim Lesen eines Buches oft hat (nach dem Motto: "Also irgendwie fand ich den Anfang langweilig, aber ich könnte jetzt nicht den Finger drauf legen, warum" oder "Klar, in der Szene gab es jede Menge Action, aber eigentlich fand ich das Ganze trotzdem ziemlich langweilig" oder "Das verstehe ich nicht! Der Held der Geschichte leidet gerade bitterste Seelenqualen, und trotzdem lässt mich sein Schicksal völlig kalt!" oder das Gegenteil "In dieser Szene musste ich beim Lesen weinen, woran lag das bloß?" oder "Bei dem Kampf mit dem Bösewicht habe ich mir vor Angst um den Helden fast in die Hose gemacht. Warum hat mich das nur so gepackt?"), in Worte zu fassen und die Gründe dafür besser in den Blick zu bekommen. Dafür wäre eine Leserunde mit kompletten Büchern und einer durchgehenden Handlung und Figurenentwicklung natürlich besser geeignet als die ja oft sehr ins handwerkliche Mikro-Detail gehenden Kommentare in der Schreibwerkstatt, die sich ja immer nur auf einen kleinen und isolierten Text beziehen können. Von daher würde das, was Alastor bereits an anderer Stelle über das Kommentieren und Kritisieren von Texten gesagt hat, auch auf so eine Leserunde zutreffen - mit jeder fortlaufenden Szene eines Buches, die man sich mit diesem Blick auf das Konzeptionelle einer Geschichte vornimmt und darüber mit anderen diskutiert, schärft sich dieser Blick, und man gewinnt zunehmend an Übung und Sicherheit. Und das macht Spaß, wenn man mit den Möglichkeiten von Szenen und Storylines in Gedanken zu spielen beginnt und ein immer größeres Gespür dafür entwickelt, welche Handlungs-Entscheidungen bei einer Geschichte funktionieren oder auch nicht und vor allem, warum sie das tun.