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Übung: Charakterisierung (Frau mit gewalttätigem Partner)
Susanne Gavenis- Legende
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Earl Grey- Wortmagier
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Dann will ich hier mal den Anfang machen.
Die Szene hat sofort Gestalt in meinem Kopf angenommen, und ich habe nicht sehr viel dazu überlegt.
Das hier ist der erste Entwurf, die (metaphorische) Tinte ist noch nicht ganz trocken.
Ich weiß, dass ich wirklich tief in die Klischeekiste gegriffen habe. Aber der Schwerpunkt der Übung bestand ja nicht in Originalität, daher habe ich mal beherzt zugelangt. Ich hoffe, das stört euch nicht zu sehr
Ich bin gespannt, was ihr dazu meint! Fragen unter dem Text
@Susanne: Mir fällt grade ein, dass du in deinem Ratgeber bei den Übungen keine Vorschläge für die Länge machst. Ich vermute, das war Absicht Mich hat es im ersten Moment etwas irritiert, weil ich bei Aufgaben gerne genau weiß, was ich machen soll, und in welchem Umfang du als Mentor diese Übung als sinnvoll erachten würdest. Als Richtlinie natürlich, dass das jeder anpassen kann, wie er will, ist klar. Und natürlich bin ich, wie vermutlich alle Leser, selbstständig genug, auch ohne feste Wortvorgabe eine Übung zu verfassen. Nur als persönliche Rückmeldung am Rande.
FRAGEN:
Findet ihr die Wiederholungen zu viel?
Wirkt es zu banal?
Ich bin absichtlich nicht näher auf die Gewalt eingegangen. Wird das dennoch deutlich (Puder und Strickjäckchen, um blaue Flecken zu verdecken)? Oder findet ihr es besser, wenn man mehr den Finger drauf legt, und explizit Gedanken/Erinnerungen/konkrete Ängste einbaut? (Ja, ich weiß, dass das Geschmacksache ist. Ich bin nur neugierig.)
Die Szene hat sofort Gestalt in meinem Kopf angenommen, und ich habe nicht sehr viel dazu überlegt.
Das hier ist der erste Entwurf, die (metaphorische) Tinte ist noch nicht ganz trocken.
Ich weiß, dass ich wirklich tief in die Klischeekiste gegriffen habe. Aber der Schwerpunkt der Übung bestand ja nicht in Originalität, daher habe ich mal beherzt zugelangt. Ich hoffe, das stört euch nicht zu sehr
Ich bin gespannt, was ihr dazu meint! Fragen unter dem Text
@Susanne: Mir fällt grade ein, dass du in deinem Ratgeber bei den Übungen keine Vorschläge für die Länge machst. Ich vermute, das war Absicht Mich hat es im ersten Moment etwas irritiert, weil ich bei Aufgaben gerne genau weiß, was ich machen soll, und in welchem Umfang du als Mentor diese Übung als sinnvoll erachten würdest. Als Richtlinie natürlich, dass das jeder anpassen kann, wie er will, ist klar. Und natürlich bin ich, wie vermutlich alle Leser, selbstständig genug, auch ohne feste Wortvorgabe eine Übung zu verfassen. Nur als persönliche Rückmeldung am Rande.
Sie wischte ihre schwitzigen Handflächen an ihrer Schürze ab. Dann ging sie in die Hocke und spähte in den Ofen. Die Hitze schlug ihr ins Gesicht, als sie ihn öffnete. Ja, der Hackbraten war fast fertig.
Sie ging ins Wohnzimmer und sah sich um. Die Tischdecke war sauber und glatt. Die heutige Zeitungsausgabe lag auf dem Tisch neben dem Sessel. Ein Blick auf die Uhr: noch etwa dreißig Minuten. Der Staubwedel lag noch auf der Fensterbank. Ihr Magen machte einen kleinen Hüpfer und hastig räumte sie ihn auf. Er hasste es zu sehen, wie sie den Haushalt verrichtete. Sie sah sich noch einmal um und ging die Liste durch: Tisch gedeckt und ordentlich, Essen fertig, auf keinen Fall anbrennen lassen! Die Zeitung, die Pantoffeln, das Bier im Kühlschrank.
Noch zwanzig Minuten. Zurück in die Küche, ein Blick in Kühlschrank und Backofen. Alles an seinem Platz. Das Essen war vorbereitet, die Wohnung hergerichtet, fehlte noch sie selbst.
Sie zog die Schürze aus. Dann ging sie ins Badezimmer und wusch sich die feuchten Hände. Ihre Frisur saß noch gut, dennoch zupfte sie an den Locken. Das Haarspray blieb an ihren Fingern kleben, und sie wusch sie noch einmal, bevor sie sich erneut Puder ins Gesicht stäubte. Eine gute, dicke Schicht Puder. Prüfend sah sie in den Spiegel. Haare, Gesicht, Augen, Lippen, Hals, Schultern, Arme. Aus dem Schlafzimmer holte sie ein dünnes Strickjäckchen und zog es über. Noch ein Blick: Ja, alles gut, nichts zu sehen, alles so, wie es sein sollte.
Noch zehn Minuten.
Nach dem Hackbraten schauen, testen ob das Bier wirklich kalt ist. Sie schluckte. Wieder ging sie ins Esszimmer, rückte das Besteck gerade, wischte ein Staubkorn von der Tischplatte. Sie sah auf die Uhr, und strich ihren Rock glatt. Hatten die Strümpfe auch keine Laufmaschen? Ihr Herz schlug schneller. Noch fünf Minuten. Nein, keine Löcher, keine Flecken.
Der Hackbraten war fast fertig, das Bier kalt, die Zeitung auf dem Tisch, das Wohnzimmer aufgeräumt und sauber.
Sie hörte seine Schritte im Hausflur. Sie schluckte, um den Kloß im Hals loszuwerden. Der Schlüssel drehte sich im Schloss, und ihr Herz setzte einen Schlag aus. Sie rieb ihre Hände an einem Geschirrtuch. Die Haustür ging auf, und sie setzte ein strahlendes Lächeln auf.
„Hallo, mein Schatz!“
FRAGEN:
Findet ihr die Wiederholungen zu viel?
Wirkt es zu banal?
Ich bin absichtlich nicht näher auf die Gewalt eingegangen. Wird das dennoch deutlich (Puder und Strickjäckchen, um blaue Flecken zu verdecken)? Oder findet ihr es besser, wenn man mehr den Finger drauf legt, und explizit Gedanken/Erinnerungen/konkrete Ängste einbaut? (Ja, ich weiß, dass das Geschmacksache ist. Ich bin nur neugierig.)
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Nun sind wir schon wieder an der Grenze unseres Witzes, da wo euch Menschen der Sinn überschnappt.
- Mephisto
Shinha- Tintenkleckser
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@Earl Grey: In welcher Zeit spielt die Geschichte? Ich hatte sehr schnell die 50er im Kopf, wahrscheinlich weil ich mir nicht vorstellen kann/will das es in manchen Familien immer noch so abläuft. Die Wiederholungen fand ich beim Lesen jetzt nicht so schlimm und banal fand ich's auch nicht. Ich finde du zeigst durch ihr neurotisches Verhalten ziehmlich deutlich, das sie unter mehr leidet als nur physischer Gewalt.
Shinha- Tintenkleckser
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Hier mal ein Versuch von mir. Er ist zwar etwas kurz aber heute ist mein zweiter Tag, mehr kann ich euch da noch nicht zumuten.
Hastig durchwühlte sie den Erste-Hilfe-Koffer auf des suche nach etwas zum reinigen der Wunde und wartete auf eine Antwort, von der sie wusste, dass sie nicht kommen wird. Wie oft hat, sie ihre Schwester schon gefragt was passiert ist? Achtmal oder schon öfter? Und nie bekam sie eine Antwort. Sie brauchte keine Antwort um zu wissen, was passiert ist und dennoch hoffte sie, ihre Schwester würde endlich damit anfangen den Mund aufzumachen. Grenzenlose Wut stieg in ihr hoch, Wut auf ihren Schwager und noch mehr auf sich selbst. Was konnte sie schon tun? Die Polizei rufen? Das brachte beim ersten Mal auch nichts. Ihre Schwester würde nur wieder für ihn Lügen. Ihr noch mehr Adressen von Frauenhäusern geben? Die würde sie nur wieder im Müll vor ihrem Haus finden. Nein, im Augenblick sind ihr die Hände gebunden, sie kann nur wieder und wieder die Wunden versorgen, wenn ihre Schwester das nächste Mal verletzt vor ihrer Tür steht. Sie spürte Tränen ihre Wangen runter laufen, wenn es doch etwas gäbe, dass sie für ihre Schwester tun könnte.
Hastig durchwühlte sie den Erste-Hilfe-Koffer auf des suche nach etwas zum reinigen der Wunde und wartete auf eine Antwort, von der sie wusste, dass sie nicht kommen wird. Wie oft hat, sie ihre Schwester schon gefragt was passiert ist? Achtmal oder schon öfter? Und nie bekam sie eine Antwort. Sie brauchte keine Antwort um zu wissen, was passiert ist und dennoch hoffte sie, ihre Schwester würde endlich damit anfangen den Mund aufzumachen. Grenzenlose Wut stieg in ihr hoch, Wut auf ihren Schwager und noch mehr auf sich selbst. Was konnte sie schon tun? Die Polizei rufen? Das brachte beim ersten Mal auch nichts. Ihre Schwester würde nur wieder für ihn Lügen. Ihr noch mehr Adressen von Frauenhäusern geben? Die würde sie nur wieder im Müll vor ihrem Haus finden. Nein, im Augenblick sind ihr die Hände gebunden, sie kann nur wieder und wieder die Wunden versorgen, wenn ihre Schwester das nächste Mal verletzt vor ihrer Tür steht. Sie spürte Tränen ihre Wangen runter laufen, wenn es doch etwas gäbe, dass sie für ihre Schwester tun könnte.
Gotthelf- Legende
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@Earl:
Also, was man sehr gut rauslesen kann, ist die Aufregung. Was man mMn nicht rauslesen kann, ist Angst.
Für mich hört es sich danach an, als könnte es genauso gut ein Date mit ihrem Traummann sein: Alles muss perfekt sein, das Essen soll gut sein, alles muss hergerichtet sein, sie muss aufgehübscht sein, etc. "Er" wird ja nur in einem Satz erwähnt, und zwar, dass er es hasst, zu sehen, wie sie häusliche Arbeit verrichtet. Das kann aber unterschiedliche Gründe haben und muss nicht auf einen gewalttätigen Rüpel zurückzuführen sein.
Bei dem Puder hab ich auch nicht an blaue Flecken gedacht.
Alles in allem sehe ich nicht wirklich das Leiden in ihrem Verhalten. Dass sie so ordnungsfanatisch ist, kann ebenfalls unterschiedliche Ursachen haben. Es gibt auch solche Leute. Deshalb denke ich, hättest du es mehr rausstellen sollen.
Also, was man sehr gut rauslesen kann, ist die Aufregung. Was man mMn nicht rauslesen kann, ist Angst.
Für mich hört es sich danach an, als könnte es genauso gut ein Date mit ihrem Traummann sein: Alles muss perfekt sein, das Essen soll gut sein, alles muss hergerichtet sein, sie muss aufgehübscht sein, etc. "Er" wird ja nur in einem Satz erwähnt, und zwar, dass er es hasst, zu sehen, wie sie häusliche Arbeit verrichtet. Das kann aber unterschiedliche Gründe haben und muss nicht auf einen gewalttätigen Rüpel zurückzuführen sein.
Bei dem Puder hab ich auch nicht an blaue Flecken gedacht.
Alles in allem sehe ich nicht wirklich das Leiden in ihrem Verhalten. Dass sie so ordnungsfanatisch ist, kann ebenfalls unterschiedliche Ursachen haben. Es gibt auch solche Leute. Deshalb denke ich, hättest du es mehr rausstellen sollen.
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Nietzsche ist tot
-Gott
Susanne Gavenis- Legende
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@Earl Grey: Ich stimme Gotthelf in allen Punkten zu. Du zeigst m.E. sehr gut, dass die Frau aufgeregt ist. WARUM sie das allerdings ist - ob aus Furcht vor den Schlägen ihres Mannes, weil er mal wieder seinen Frust an ihr auslässt, oder ob sie - wie Gotthelf das bereits als Vermutung geäußert hat - kurz davor steht, dem Mann ihrer Träume die Haustür zu öffnen, wird nicht wirklich klar bzw. nur relativ dezent angedeutet.
Das Problem ist m.E., dass ihre Körpersprache am Anfang der Szene nicht spezifisch genug mit der Emotion Angst verknüpft ist, sondern auch andere Ursachen haben könnte. Zweimal erwähnst du ihre schweißfeuchten Hände - einmal ganz am Anfang und einmal in der Mitte -, die könnten aber auch durch ganz normale Nervosität hervorgerufen werden. Der Knackpunkt am Anfang der Szene, der die Leser in meinen Augen zu sehr in eine falsche emotionale Richtung führt, war die Formulierung: "Ihr Magen machte einen kleinen Hüpfer." Hüpfer klingt in meinen Ohren zu beschwingt (wie ein Kind, das vor Aufregung, weil es gleich Geschenke bekommt, nicht stillstehen kann), weniger nach Angst vor Schlägen und Gebrüll. In Verbindung mit den schweißfeuchten Händen weckt dieser Hüpfer bei mir die Assoziation von kribbelnder Nervosität, und damit alles perfekt arrangiert ist, putzt und räumt sie manisch auf.
Wenn du z.B. statt des relativ schwachen Magenhüpfers so etwas geschrieben hättest wie: "Ihr Blick fiel auf den Staubwedel auf der Fensterbank, und ihr Magen krampfte sich zu einem kalten, harten Knoten zusammen. Ihr Herz begann zu rasen, und ein ersticktes Keuchen entrang sich ihrer Kehle. Sie musste sich konzentrieren! Ihr durfte nicht noch einmal dasselbe passieren wie gestern, als sie gedankenlos vergessen hatte, die leere Bierflasche vom Wohnzimmertisch in den Glascontainer hinter dem Haus zu werfen. Unwillkürlich hob sie die Hand, berührte mit den Fingern ihr Kinn. Ihr war, als könne sie seine Faust noch immer spüren, als er ihr unentschuldbares Versäumnis entdeckt und ihr - wie es seine Art war - sofort eine seiner "Lektionen" erteilt hatte", wäre das eine Körpersprache, die zum einen stärker von einer gewöhnlichen Aufregung (die viele Ursachen haben könnte) abweichen würde und zum anderen mit spezifischen Gedanken und Erinnerungen der Figur verknüpft wäre, die noch deutlicher machen würden, dass sie nicht bloß kribbelig ist, weil sie das Date mit ihrem Traumtypen nicht vermasseln will.
Wenn du den Leser auf diese Weise gleich am Anfang der Szene stärker in die Angst-Richtung lenken würdest, würde auch der gesamte Mittelteil der Szene, als deine Figur in Gedanken ihre Checkliste durchgeht, sofort ganz anders wirken, denn im Grunde sind das alles gute Details, die ihre ursprüngliche Angst, irgendetwas zu versemmeln und sich deswegen Schläge einzuhandeln, für den Leser noch plastischer machen. Entscheidend ist es jedoch, dass er all ihre Handlungen auch als Reaktion auf ihre Angst erkennt und deutet.
Als sich deine Figur selbst aufhübscht, könntest du die Wirkung deiner Beschreibungen verstärken, indem du hier und da noch einmal einen Gedanken oder eine Erinnerung an ihren Mann hinzufügst, um die Verknüpfung zwischen ihrem Handeln und ihrer Angst für den Leser präsenter zu machen (z.B. "... bevor sie sich erneut Puder ins Gesicht stäubte. Eine gute, dicke Schicht Puder. Er hasste es, die blauen Flecken und Abschürfungen in ihrem Gesicht zu sehen. Sie wusste, sie war keine Schönheit, und dass er sie trotz all ihrer Makel geheiratet hatte, würde immer ein Wunder für sie sein. Beim Gedanken daran, wie sich seine Miene vor Abscheu verzerren würde, wenn er sie anschaute und die Entstellungen vom Vortag noch an ihr entdeckte, schnürte sich ihre Kehle so eng zusammen, dass sie kaum noch Luft bekam, und ihre Hände begannen zu zittern."). Hier und da im Verlauf der Szene die reine Abfolge der Handlungen der Figur um solche Gedankeneinschübe zu ergänzen, hilft, eine Szene emotional noch dichter zu machen.
Von daher kann ich deine letzte Frage am Ende deiner Übung aus meiner Sicht mit einem entschiedenen "Ja" beantworten. Ich denke nicht, dass der Einbau von Gedanken, Erinnerungsbildern und Ähnlichem in solche Szenen lediglich "Geschmacksache" ist, sondern auch etwas mit der objektiven emotionalen Wirkung der Szene auf den Leser zu tun hat. Kann der Leser die beschriebenen Verhaltensweisen nicht eindeutig genug einer konkreten Angst oder einem anderen Gefühl zuordnen (z.B. Trauer, Wut, Hilflosigkeit, etc.), hängt er emotional ein Stück weit in der Luft und verfolgt zwar mit, was die Figur in der Szene so alles tut, weil er sich aber nicht ganz sicher ist, wie er dieses Verhalten nun genau einordnen soll, verpufft ein guter Teil der Wirkung, die diese Handlungen eigentlich auf ihn haben könnten.
Ich habe übrigens tatsächlich absichtlich in meinem Ratgeber keine Wortbegrenzung bei den Übungen vorgegeben. Jeder sollte die Freiheit haben, sich so viel Raum zu nehmen, wie er braucht, um mit der beabsichtigten Wirkung seines Textes auf den Leser zufrieden zu sein. Ich denke, dass solche Übungen wie die mit dem gewalttätigen Ehemann vom Thema her ohnehin eher kompakt sind und die Gefahr, dass jemand die Angst der Frau auf 20 Seiten auswalzt, relativ gering ist. Ich freue mich übrigens, dass ihr euch jetzt die ersten Übungen vorgenommen habt. Es ist für mich - neben den Gedanken, die ihr zu den einzelnen Themen des Ratgebers habt - besonders spannend, zu sehen, wie ihr damit zurecht kommt und wie hilfreich ihr die Übungen findet.
Das Problem ist m.E., dass ihre Körpersprache am Anfang der Szene nicht spezifisch genug mit der Emotion Angst verknüpft ist, sondern auch andere Ursachen haben könnte. Zweimal erwähnst du ihre schweißfeuchten Hände - einmal ganz am Anfang und einmal in der Mitte -, die könnten aber auch durch ganz normale Nervosität hervorgerufen werden. Der Knackpunkt am Anfang der Szene, der die Leser in meinen Augen zu sehr in eine falsche emotionale Richtung führt, war die Formulierung: "Ihr Magen machte einen kleinen Hüpfer." Hüpfer klingt in meinen Ohren zu beschwingt (wie ein Kind, das vor Aufregung, weil es gleich Geschenke bekommt, nicht stillstehen kann), weniger nach Angst vor Schlägen und Gebrüll. In Verbindung mit den schweißfeuchten Händen weckt dieser Hüpfer bei mir die Assoziation von kribbelnder Nervosität, und damit alles perfekt arrangiert ist, putzt und räumt sie manisch auf.
Wenn du z.B. statt des relativ schwachen Magenhüpfers so etwas geschrieben hättest wie: "Ihr Blick fiel auf den Staubwedel auf der Fensterbank, und ihr Magen krampfte sich zu einem kalten, harten Knoten zusammen. Ihr Herz begann zu rasen, und ein ersticktes Keuchen entrang sich ihrer Kehle. Sie musste sich konzentrieren! Ihr durfte nicht noch einmal dasselbe passieren wie gestern, als sie gedankenlos vergessen hatte, die leere Bierflasche vom Wohnzimmertisch in den Glascontainer hinter dem Haus zu werfen. Unwillkürlich hob sie die Hand, berührte mit den Fingern ihr Kinn. Ihr war, als könne sie seine Faust noch immer spüren, als er ihr unentschuldbares Versäumnis entdeckt und ihr - wie es seine Art war - sofort eine seiner "Lektionen" erteilt hatte", wäre das eine Körpersprache, die zum einen stärker von einer gewöhnlichen Aufregung (die viele Ursachen haben könnte) abweichen würde und zum anderen mit spezifischen Gedanken und Erinnerungen der Figur verknüpft wäre, die noch deutlicher machen würden, dass sie nicht bloß kribbelig ist, weil sie das Date mit ihrem Traumtypen nicht vermasseln will.
Wenn du den Leser auf diese Weise gleich am Anfang der Szene stärker in die Angst-Richtung lenken würdest, würde auch der gesamte Mittelteil der Szene, als deine Figur in Gedanken ihre Checkliste durchgeht, sofort ganz anders wirken, denn im Grunde sind das alles gute Details, die ihre ursprüngliche Angst, irgendetwas zu versemmeln und sich deswegen Schläge einzuhandeln, für den Leser noch plastischer machen. Entscheidend ist es jedoch, dass er all ihre Handlungen auch als Reaktion auf ihre Angst erkennt und deutet.
Als sich deine Figur selbst aufhübscht, könntest du die Wirkung deiner Beschreibungen verstärken, indem du hier und da noch einmal einen Gedanken oder eine Erinnerung an ihren Mann hinzufügst, um die Verknüpfung zwischen ihrem Handeln und ihrer Angst für den Leser präsenter zu machen (z.B. "... bevor sie sich erneut Puder ins Gesicht stäubte. Eine gute, dicke Schicht Puder. Er hasste es, die blauen Flecken und Abschürfungen in ihrem Gesicht zu sehen. Sie wusste, sie war keine Schönheit, und dass er sie trotz all ihrer Makel geheiratet hatte, würde immer ein Wunder für sie sein. Beim Gedanken daran, wie sich seine Miene vor Abscheu verzerren würde, wenn er sie anschaute und die Entstellungen vom Vortag noch an ihr entdeckte, schnürte sich ihre Kehle so eng zusammen, dass sie kaum noch Luft bekam, und ihre Hände begannen zu zittern."). Hier und da im Verlauf der Szene die reine Abfolge der Handlungen der Figur um solche Gedankeneinschübe zu ergänzen, hilft, eine Szene emotional noch dichter zu machen.
Von daher kann ich deine letzte Frage am Ende deiner Übung aus meiner Sicht mit einem entschiedenen "Ja" beantworten. Ich denke nicht, dass der Einbau von Gedanken, Erinnerungsbildern und Ähnlichem in solche Szenen lediglich "Geschmacksache" ist, sondern auch etwas mit der objektiven emotionalen Wirkung der Szene auf den Leser zu tun hat. Kann der Leser die beschriebenen Verhaltensweisen nicht eindeutig genug einer konkreten Angst oder einem anderen Gefühl zuordnen (z.B. Trauer, Wut, Hilflosigkeit, etc.), hängt er emotional ein Stück weit in der Luft und verfolgt zwar mit, was die Figur in der Szene so alles tut, weil er sich aber nicht ganz sicher ist, wie er dieses Verhalten nun genau einordnen soll, verpufft ein guter Teil der Wirkung, die diese Handlungen eigentlich auf ihn haben könnten.
Ich habe übrigens tatsächlich absichtlich in meinem Ratgeber keine Wortbegrenzung bei den Übungen vorgegeben. Jeder sollte die Freiheit haben, sich so viel Raum zu nehmen, wie er braucht, um mit der beabsichtigten Wirkung seines Textes auf den Leser zufrieden zu sein. Ich denke, dass solche Übungen wie die mit dem gewalttätigen Ehemann vom Thema her ohnehin eher kompakt sind und die Gefahr, dass jemand die Angst der Frau auf 20 Seiten auswalzt, relativ gering ist. Ich freue mich übrigens, dass ihr euch jetzt die ersten Übungen vorgenommen habt. Es ist für mich - neben den Gedanken, die ihr zu den einzelnen Themen des Ratgebers habt - besonders spannend, zu sehen, wie ihr damit zurecht kommt und wie hilfreich ihr die Übungen findet.
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@Shinha: Ich hatte keine bestimmte Zeit im Kopf. Du hast Recht, dass es das Klischee dieser Zeit bedient, und ähnlich sah es in meinem Kopf auch aus. Aber auch ich denke, dass es in der heutigen Zeit noch solche Paare gibt ...
Zu deiner Übung: mMn beschreibst du die Sorge der Schwester, nicht die der Frau vor ihrem Ehemann. Die Sorge kommt für mich deutlich zum Vorschein, wobei du für meinen Geschmack etwas zu viel beschreibst/erzählst, anstatt es direkt zu zeigen. (ein paar Rechtschreib- und Grammatikfehler haben sich auch eingeschlichen )
@Gotthelf und Susanne: Vielen Dank für eure Rückmeldung, das hilft mir sehr. Ich habe den Kontext wohl zu sehr als selbstverständlich genommen
Zu deiner Übung: mMn beschreibst du die Sorge der Schwester, nicht die der Frau vor ihrem Ehemann. Die Sorge kommt für mich deutlich zum Vorschein, wobei du für meinen Geschmack etwas zu viel beschreibst/erzählst, anstatt es direkt zu zeigen. (ein paar Rechtschreib- und Grammatikfehler haben sich auch eingeschlichen )
@Gotthelf und Susanne: Vielen Dank für eure Rückmeldung, das hilft mir sehr. Ich habe den Kontext wohl zu sehr als selbstverständlich genommen
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@Shinha: Da du natürlich die genaue Übungsaufgabe aus dem Ratgeber nicht kennst, weicht dein Text inhaltlich ein wenig davon ab. Da es letztlich bei dir aber auch darum geht, dem Leser die Gefühle deiner Figur anschaulich vor Augen zu führen, passt er trotzdem an diese Stelle.
Insgesamt hast du die Sorge der Figur um ihre Schwester gut eingefangen. An einer Stelle könntest du ihre Gefühle durch den Einsatz von Körpersprache noch etwas indirekter (und damit plastischer und nachdrücklicher) zum Ausdruck bringen, als du es getan hast, und zwar bei der Formulierung "Grenzenlose Wut stieg in ihr hoch ...".
Das ist zwar vollkommen okay so, wenn du jedoch die Wut ebenfalls noch in Körpersprache überführt hättest (z.B. "Sie ballte die Fäuste und spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen. Am liebsten hätte sie gebrüllt und getobt, hätte ihre Schwester gepackt und geschüttelt, damit sie endlich aufwachte und etwas UNTERNAHM. Doch sie wusste, das hätte nichts geändert ..."), würden diese Wut und auch ihre gleichzeitige Ohnmacht noch eleganter beim Leser ankommen. Körpersprache von Figuren mit ihren Gedanken, Wünschen und Fantasien zu kombinieren (wie ich es oben in meinem Beispiel getan habe), ist eine gute Möglichkeit, dem Leser deine Figuren emotional nahe zu bringen, ohne dass du auktorial sagen müsstest: "Petra hatte Angst, dass ihr Schwager ihre Schwester verprügelte, und fühlte sich hilflos deswegen."
Ansonsten gefallen mir die kleinen Details, mit denen du das Verhalten und die psychische Situation der Schwester beschreibst, sehr gut, z.B. "Ihr noch mehr Adressen von Frauenhäusern geben? Die würde sie nur wieder im Müll vor ihrem Haus finden." Damit zeigst du auf indirekte (und damit gute) Weise, wie es psychisch um die Schwester steht. Dasselbe Detail offen statt indirekt formuliert, würde etwa so aussehen: "Ihr noch mehr Adressen von Frauenhäusern geben? Die würde sie doch nur wieder in den Müll werfen." Im ersten (indirekten) Fall zeigst du anhand der FOLGEN, die ein Verhalten hat, wie es in einer Figur gerade emotional aussieht (die Adressen der Frauenhäuser liegen im Müll, und das heißt, dass sie die Schwester weggeworfen haben muss, was wiederum Aufschluss darüber gibt, wie sie sich fühlen muss), im zweiten Fall beschreibst du dieses Verhalten direkt (sie wirft die Adressen weg).
Zwar ist das prinzipiell ebenfalls noch indirekt, weil du den Leser nicht sofort über die genauen Gründe des Verhaltens informierst (sie warf die Adressen weg, weil sie unfähig war, sich selbst zu schützen, und ihrem Mann immer wieder verzieh). Dieses Verhalten ganz wegzulassen und lediglich seine Folgen bzw. Konsequenzen zu zeigen, ist allerdings noch indirekter und bindet den Leser noch mehr mit seiner eigenen Denkleistung in die Geschichte ein. Gut ist aber beides, und wenn man es mit der Indirektheit ZU SEHR übertreibt, kann der Schuss auch nach hinten losgehen. Solange der Leser aber darüber orientiert ist, was in der Szene gerade abläuft, und sich nicht verwirrt fragt: "Häh? Was tun denn die Typen da gerade, und worum geht es überhaupt in der Szene? ich blicke nicht durch!", ist es oft eine gute Entscheidung, bei der Beschreibung seiner Figuren auf Indirektheit zu setzen. Das macht beim Lesen mehr Spaß, weil sich der Leser ernst genommen fühlt und er nicht das Gefühl bekommt, dass ihm der Autor alles, was passiert, erst lang und breit erklären muss.
Ich hoffe, dass du bei meinen etwas längeren Ausführungen jetzt nicht ins Gähnen gekommen bist, weil ich - da du dich gerade erst im Forum angemeldet hast - nicht im Kopf habe, ob du eher ein Schreibanfänger oder schon ein alter Hase bist. Auf jeden Fall freue ich mich, dass du deinen Text hier in der Leserunde gepostet hast.
Insgesamt hast du die Sorge der Figur um ihre Schwester gut eingefangen. An einer Stelle könntest du ihre Gefühle durch den Einsatz von Körpersprache noch etwas indirekter (und damit plastischer und nachdrücklicher) zum Ausdruck bringen, als du es getan hast, und zwar bei der Formulierung "Grenzenlose Wut stieg in ihr hoch ...".
Das ist zwar vollkommen okay so, wenn du jedoch die Wut ebenfalls noch in Körpersprache überführt hättest (z.B. "Sie ballte die Fäuste und spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen. Am liebsten hätte sie gebrüllt und getobt, hätte ihre Schwester gepackt und geschüttelt, damit sie endlich aufwachte und etwas UNTERNAHM. Doch sie wusste, das hätte nichts geändert ..."), würden diese Wut und auch ihre gleichzeitige Ohnmacht noch eleganter beim Leser ankommen. Körpersprache von Figuren mit ihren Gedanken, Wünschen und Fantasien zu kombinieren (wie ich es oben in meinem Beispiel getan habe), ist eine gute Möglichkeit, dem Leser deine Figuren emotional nahe zu bringen, ohne dass du auktorial sagen müsstest: "Petra hatte Angst, dass ihr Schwager ihre Schwester verprügelte, und fühlte sich hilflos deswegen."
Ansonsten gefallen mir die kleinen Details, mit denen du das Verhalten und die psychische Situation der Schwester beschreibst, sehr gut, z.B. "Ihr noch mehr Adressen von Frauenhäusern geben? Die würde sie nur wieder im Müll vor ihrem Haus finden." Damit zeigst du auf indirekte (und damit gute) Weise, wie es psychisch um die Schwester steht. Dasselbe Detail offen statt indirekt formuliert, würde etwa so aussehen: "Ihr noch mehr Adressen von Frauenhäusern geben? Die würde sie doch nur wieder in den Müll werfen." Im ersten (indirekten) Fall zeigst du anhand der FOLGEN, die ein Verhalten hat, wie es in einer Figur gerade emotional aussieht (die Adressen der Frauenhäuser liegen im Müll, und das heißt, dass sie die Schwester weggeworfen haben muss, was wiederum Aufschluss darüber gibt, wie sie sich fühlen muss), im zweiten Fall beschreibst du dieses Verhalten direkt (sie wirft die Adressen weg).
Zwar ist das prinzipiell ebenfalls noch indirekt, weil du den Leser nicht sofort über die genauen Gründe des Verhaltens informierst (sie warf die Adressen weg, weil sie unfähig war, sich selbst zu schützen, und ihrem Mann immer wieder verzieh). Dieses Verhalten ganz wegzulassen und lediglich seine Folgen bzw. Konsequenzen zu zeigen, ist allerdings noch indirekter und bindet den Leser noch mehr mit seiner eigenen Denkleistung in die Geschichte ein. Gut ist aber beides, und wenn man es mit der Indirektheit ZU SEHR übertreibt, kann der Schuss auch nach hinten losgehen. Solange der Leser aber darüber orientiert ist, was in der Szene gerade abläuft, und sich nicht verwirrt fragt: "Häh? Was tun denn die Typen da gerade, und worum geht es überhaupt in der Szene? ich blicke nicht durch!", ist es oft eine gute Entscheidung, bei der Beschreibung seiner Figuren auf Indirektheit zu setzen. Das macht beim Lesen mehr Spaß, weil sich der Leser ernst genommen fühlt und er nicht das Gefühl bekommt, dass ihm der Autor alles, was passiert, erst lang und breit erklären muss.
Ich hoffe, dass du bei meinen etwas längeren Ausführungen jetzt nicht ins Gähnen gekommen bist, weil ich - da du dich gerade erst im Forum angemeldet hast - nicht im Kopf habe, ob du eher ein Schreibanfänger oder schon ein alter Hase bist. Auf jeden Fall freue ich mich, dass du deinen Text hier in der Leserunde gepostet hast.
Shinha- Tintenkleckser
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@Susanne Gavenis: Ich würde mich eher noch als Anfänger bezeichnen, vor allem nach dem ich gesehen hab wie viel mühe du dir gegeben hast, um meine vier Zeilen zu zerlegen. Gähnen musste ich nur einmal, aber das finde ich nicht negative, dadurch habe ich jetzt eine ganz andere Sichtweise auf mein eigenes Werk und dafür vielen, vielen Dank.
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