5. Abschnitt: 7. Kapitel
Susanne Gavenis- Legende
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- Beitrag #1
5. Abschnitt: 7. Kapitel
Hier könnt ihr etwas zum 5. Abschnitt schreiben.
Invece- Weltenbauer
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- Beitrag #2
Re: 5. Abschnitt: 7. Kapitel
Nachdem ich bisher eigentlich immer nur "rumgemäkelt" habe, will ich zu diesem Kapitel zuallererst sagen, dass ich es absolut großartig geschrieben finde. Hier ist mir kein Bild, kein Wort zu viel. Die Darstellung der Todkranken, ihrer Hoffnungen und ihrer Verzweiflung, zeigt für mich nicht nur eine ungeheuer gute Beobachtungsgabe bezüglich dieses schwierigen und belastenden Lebensbereiches, sondern auch eine absolute Präzision und Kunstfertigkeit bei der Wortwahl. Also da passt für mich alles perfekt zusammen, die Düsternis der Handlung, die Kälte des Antagonisten, die Erbärmlichkeit der Sterblichen gegenüber dem Gott in Weiß. Und man lernt langsam, wie Ogaire eigentlich tickt.
Was ich allerdings noch nicht verstehe, ist die Betonung der (äußerlichen???) Gefühllosigkeit dieses Charakters. Für das, was diese Figur plant und tut, braucht sie mMn eine sehr starke Motivation, einen nachvollziehbaren Grund. Ein "schlechter Mensch" (Elf) zu sein, erscheint mir tautologisch. Wenn Ogaire also aufgrund einer - wie auch immer gearteten - Besessenheit handelt, die vielleicht noch erklärt wird, dann müsste er auch (sogar überaus starke!) Gefühle haben. Ohne innere Regungen ist mir seine Gier nach Lebensenergie nicht erklärlich.
Was ich allerdings noch nicht verstehe, ist die Betonung der (äußerlichen???) Gefühllosigkeit dieses Charakters. Für das, was diese Figur plant und tut, braucht sie mMn eine sehr starke Motivation, einen nachvollziehbaren Grund. Ein "schlechter Mensch" (Elf) zu sein, erscheint mir tautologisch. Wenn Ogaire also aufgrund einer - wie auch immer gearteten - Besessenheit handelt, die vielleicht noch erklärt wird, dann müsste er auch (sogar überaus starke!) Gefühle haben. Ohne innere Regungen ist mir seine Gier nach Lebensenergie nicht erklärlich.
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- Beitrag #3
Re: 5. Abschnitt: 7. Kapitel
Auch wenn ich dieses Kapitel recht gut geschrieben finde - wobei ich mich allerdings frage, wieso ein Elf bei all seinen magischen Kräften nicht in der Lage ist, sich an einen anderen Ort zu teleportieren, oder wenigstens als "Wolke" dorthin zu schweben, sondern einen Ferrari braucht, mit dem man sowieso nicht weit kommt in einer Stadt - halte ich es als ganzes für überflüssig. Es gibt keine wesentlichen neuen Infos und Ogaire ist auch kein Antagonist mit breit gefächerten Motiven. Er braucht keine POV Kapitel, durch diese seine wahren Absichten enthüllt werden müssten, denn er ist im Grunde sehr einfach gestrickt: Er ist einfach nur böse, ähnlich wie Sauron oder Voldemort. Da braucht es keine Einblicke in seinen Charakter.
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- Beitrag #4
Re: 5. Abschnitt: 7. Kapitel
Ich fand das Kapitel eigentlich gut, es baut die Spannung noch weiter auf. Aber es stimmt, man erfährt nicht viel mehr über Ogaires Charakter und seine eigentlichen Beweggründe, die seinen ganzen Plänen zugrunde liegen. Ich hoffe, das erfährt man später noch.
Mir hat vor allem gefallen, wie Ogaire über menschliche Heilpraktiken denkt. Mir haben die abfälligen Formulierungen sehr gut gefallen.
Warum können die Menschen in Ogaires Augen schauen, aber nicht in Andions? Und es ist ein kleines Städtchen, ist noch niemand zufällig beiden begegnet und hat gesehen, dass sie die selbe Augenfarbe haben? Oder versteckt Ogaire seine durch magische Weise vor den Blicken der Menschen?
Die Szene, als Ogaire versucht, in den Park zu gelangen, fand ich dagegen ehr so mittelmäßig. Zum einen war es mir zu übertriebene Action (der Sand Wirbelsturm vor allem), aber das ist nunmal Geschmacksache.
Aber ich fand auch, dass Ogaire sich relativ dumm anstellt. Andion hört den Ruf ja, als er fast vor den LKW rennt. Dann vergeht noch einige Zeit, in der er verletzt herumhinkt, Ian ihn heilt, ihr Gespräch, wie er verzweifelt daovn rennt bis er sich wieder fängt und dann ein weieres Gespräch mit Ian. Eigentlich genug Zeit für Ogaire, vom Krankenhaus in das Wäldchen zu gelangen. Dass er sich so leicht aufhaten und abschütteln lässt, fand ich irgendwie unpassend seiner Macht gegenüber.
Vermutlich hat Ian einen Zauber gewirkt, der den Ruf vor Ogaire verbergen soll, das wurde aber nicht explizit erwähnt und kann ich nur spekulieren.
Und warum genau bliebt Ian bei der Mutter? An sich ist es ja Andion, der beschützt werden muss.
Bleibt er bei ihr, um ihr Leben zu beschützen (auch wenn das böse klingt, aber wenn sie tot ist, naja, dann ist sie eben tot; wenn er Andion tötet, ist die gesamte Elfenwelt besiegt...) oder geht es darum, dass Ogaire sie abermals entführen und ein Kind mit ihr zeugen könnte?
Und ja, auch mich würde interessieren, wie Ogaire Sex gegenüber steht. Er scheint kaum Empfindungen zu haben, da passt ein sexueller Akt für mich nicht ins Bild. Kann er seinen Körper dazu zwingen, mitzumachen? Kann er so etwas wie Lust überhaupt empfinden?
Ich möchte hier keine detaillierte Diskussion über Sex anfangen, allerdings denke ich, dass dies etwas wäre, womit man Ogaires Charakter besser verstehen könnte.
Mir hat vor allem gefallen, wie Ogaire über menschliche Heilpraktiken denkt. Mir haben die abfälligen Formulierungen sehr gut gefallen.
Warum können die Menschen in Ogaires Augen schauen, aber nicht in Andions? Und es ist ein kleines Städtchen, ist noch niemand zufällig beiden begegnet und hat gesehen, dass sie die selbe Augenfarbe haben? Oder versteckt Ogaire seine durch magische Weise vor den Blicken der Menschen?
Die Szene, als Ogaire versucht, in den Park zu gelangen, fand ich dagegen ehr so mittelmäßig. Zum einen war es mir zu übertriebene Action (der Sand Wirbelsturm vor allem), aber das ist nunmal Geschmacksache.
Aber ich fand auch, dass Ogaire sich relativ dumm anstellt. Andion hört den Ruf ja, als er fast vor den LKW rennt. Dann vergeht noch einige Zeit, in der er verletzt herumhinkt, Ian ihn heilt, ihr Gespräch, wie er verzweifelt daovn rennt bis er sich wieder fängt und dann ein weieres Gespräch mit Ian. Eigentlich genug Zeit für Ogaire, vom Krankenhaus in das Wäldchen zu gelangen. Dass er sich so leicht aufhaten und abschütteln lässt, fand ich irgendwie unpassend seiner Macht gegenüber.
Vermutlich hat Ian einen Zauber gewirkt, der den Ruf vor Ogaire verbergen soll, das wurde aber nicht explizit erwähnt und kann ich nur spekulieren.
Und warum genau bliebt Ian bei der Mutter? An sich ist es ja Andion, der beschützt werden muss.
Bleibt er bei ihr, um ihr Leben zu beschützen (auch wenn das böse klingt, aber wenn sie tot ist, naja, dann ist sie eben tot; wenn er Andion tötet, ist die gesamte Elfenwelt besiegt...) oder geht es darum, dass Ogaire sie abermals entführen und ein Kind mit ihr zeugen könnte?
Und ja, auch mich würde interessieren, wie Ogaire Sex gegenüber steht. Er scheint kaum Empfindungen zu haben, da passt ein sexueller Akt für mich nicht ins Bild. Kann er seinen Körper dazu zwingen, mitzumachen? Kann er so etwas wie Lust überhaupt empfinden?
Ich möchte hier keine detaillierte Diskussion über Sex anfangen, allerdings denke ich, dass dies etwas wäre, womit man Ogaires Charakter besser verstehen könnte.
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- Beitrag #5
Re: 5. Abschnitt: 7. Kapitel
Gotthelf schrieb:Er braucht keine POV Kapitel, durch diese seine wahren Absichten enthüllt werden müssten, denn er ist im Grunde sehr einfach gestrickt: Er ist einfach nur böse, ähnlich wie Sauron oder Voldemort. Da braucht es keine Einblicke in seinen Charakter.
Voldemorts (oder zumindest Tom Riddles) Vergangenheit wird in den Büchern sehr plausibel geschildert, sodass man halbwegs verstehen kann, warum er ist, was er ist; ob sie auch in einem der Filme vorkam, weiß ich jetzt grad nimmer. Ich glaub aber schon irgendwie.
Wie dem auch sei, bei Ogaire hast du Recht. Er wirkt bisher wie ein bedingungslos Böser und ich kann mir auch nicht vorstellen, wie er im Elfenhain etwas erlebt haben soll, das dazu geführt hat, dass er ist, wie er ist. Vielleicht hat er ein altes, schwarzmagisches Buch gefunden oder so? Keine Ahnung - auch ich hoffe da auf eine Enthüllung.
Das Kapitel ist insofern nicht überflüssig, dass wir erfahren, dass Ogaire auch nur ein
Ich fand das Kapitel aber auch generell gut zu lesen.
Das mit der Augenfarbe habe ich mich auch gefragt und bin ebenfalls zu dem Schluss gekommen, dass Ogaire sie mit Magie tarnt - oder er benutzt farbige Kontaktlinsen. Trotzdem wäre eine Erklärung hierzu toll gewesen.
Hm, und mit dem Sex: Ja, ich denke, er kann seinen Körper zwingen, mitzumachen. Männer funktionieren in der Hinsicht viel eher auf Knopfdruck als Frauen! Und magisch begabte Elfen (Elfen sind für mich sowieso ein Sinnbild der Selbstbeherrschung) müssten da wohl erst recht was machen können, damit es klappt. Ist ja eigentlich nur Biologie, und damit kennen sie sich aus, besonders ein Heiler. Von einer erotischen Ebene der Anziehung würde ich bei Ogaire absehen.
Gotthelf- Legende
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- Beitrag #6
Re: 5. Abschnitt: 7. Kapitel
Naja, aber Ogaire müsste zumindest verstehen, wie das ist, um einen entsprechenden Zustand herbeizuführen.
Übrigens glaube ich nicht, dass das Kapitel dazu dient, Ogaires Nicht-Allmacht darzustellen. Dies zeigte sich ja schon darin, dass Ian die Mutter befreien konnte, bevor Andion auf die Welt kam. Er ist fast genauso wie Voldemort, der es nicht geschafft hat, den kleinen Harry zu töten.
Übrigens glaube ich nicht, dass das Kapitel dazu dient, Ogaires Nicht-Allmacht darzustellen. Dies zeigte sich ja schon darin, dass Ian die Mutter befreien konnte, bevor Andion auf die Welt kam. Er ist fast genauso wie Voldemort, der es nicht geschafft hat, den kleinen Harry zu töten.
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- Beitrag #7
Re: 5. Abschnitt: 7. Kapitel
Das wäre ja mal eine coole Diskussion! Ehrlich gesagt habe ich mir - bei all dem Kram, den ich mir sonst so denke - noch nicht wirklich überlegt, wie Ogaire zum Sex steht. Da Elfen ebenso wie die Menschen Familien gründen und Kinder zeugen, gehe ich mal davon aus, dass der Sex bei ihnen nicht gar so verschieden zu dem der Menschen abläuft und empfunden wird. Hier wie dort gibt es aber sicherlich - je nach individueller Persönlichkeit, biographischen Erfahrungen und Traumatisierungen usw. - eine große Bandbreite, welche Bedeutung Sex in ihrem Leben besitzt. Die einen mögen süchtig danach sein und nicht genug davon bekommen, die anderen tun es zwar, empfinden aber wenig dabei und könnten es auch lassen, und für wieder andere ist es lediglich ein Mittel zum Zweck, z.B. um Macht über andere zu gewinnen, persönliche Ziele zu erreichen oder einen bestimmten Eindruck zu erwecken.
Bei Ogaire würde ich sagen, sind letztere Punkte der Fall. Von seiner Persönlichkeit her ist er ganz sicher kein lustbetonter, in körperlicher Hinsicht sinnlich orientierter Charakter. Da er ja seine sinistren Pläne schon sehr lange im Verborgenen und vor den Augen der anderen Elfen verfolgt hat, war er zum einen bestrebt, einen unauffälligen äußeren Anschein zu erwecken, zum anderen brauchte er seinen erstgeborenen Sohn, um sein Ritual zum Abschluss bringen zu können.
In Inveces Anmerkung, wie ein so kontrollierter und innerlich wie äußerlich beherrschter Charakter (was ja im Grunde auch die Sache mit dem Sex mit einschließt) wie Ogaire überhaupt so sehr für seine Ziele "brennen" kann, dass er die Energie aufbringt, sie mit so viel Leidenschaft über einen langen Zeitraum zu verfolgen, stecken interessante und spannende Fragen, die m.E. viele psychologische Aspekte mit einschließen. Wie innerlich bewegt und emotional von starken Gefühlen beherrscht ist ein "Machtmensch", der sein ganzen Streben dem Erreichen eines egoistischen Ziels widmet und dafür skrupellos auch über Leichen geht, der also damit zeigt, dass von moralischen Werten getragenes Mitgefühl nicht zu seinen überragenden Eigenschaften gehört? Sind seine Gefühle - aus welchen Gründen auch immer - möglicherweise von Natur aus bis auf das Niveau eines zur Empathie unfähigen Soziopathen "heruntergedimmt", und ermöglicht ihm erst das seine oft unheimliche Konsequenz und Gewissenlosigkeit in seinem Handeln, oder wird er - wie die meisten "normalen" Menschen auch - von starken Gefühlen beherrscht, die er aber mit seinem Willen sozusagen auf die Erreichung seiner Ziele hin sublimiert hat (möglicherweise bis zu einem Punkt, wo er sie selbst nicht mehr wirklich wahrnimmt)? Muss man bis zu einem gewissen Grad von seiner eigenen Menschlichkeit entfremdet sein, um überhaupt auf eine solche krasse Weise sachlich-brutal und ohne Einbeziehung emotional-mitmenschlicher Beziehungsaspekte seine Ziele verfolgen zu können? Ich finde, das sind spannende, aber auch schwierige Fragen.
Bei Ogaire war mir - unabhängig von diesen allgemeineren psychologischen Überlegungen - wichtig, dass seine Persönlichkeit von ihrer Konzeption her einen völligen Gegensatz und eine Antithese zum zentralen Thema "Empathie" darstellen sollte, die ja bei den Elfen eine natürliche Eigenschaft ihres Wesens ist, das also Ogaire sinnbildlich für das "Herausfallen" aus diesem von Empathie, Einfühlungsvermögen und Fürsorge getragenen zwischenmenschlichen (bzw. elfischen) Kosmos stehen sollte. Wäre Ogaire von starken inneren Gefühlen beherrscht worden, wäre er z.B. angespannt, nervös und kribbelig gwesen, während er darauf wartet, dass Andion vom Hain gerufen wird, hätte er seine innere Anspannung so schlecht unter Kontrolle gehabt, dass er vielleicht im Jähzorn eine Blumenvase vom Tisch fegt (alles das, weil ihm seine Ziele so verdammt wichtig sind und er Angst hat, irgendetwas könnte ihm dazwischenfunken), wäre diese Antithese in meinen Augen verlorengegangen. Erst diese innere und äußere Beherrschtheit bzw. das Fehlen von "heißen" Emotionen macht für mich die Bedrohlichkeit seines Charakters aus. Dass diese Bedrohlichkeit aufgrund dieser Konzeption sicherlich auf Kosten seiner psychologischen Differenziertheit geht, sehe ich durchaus.
Ich denke, es ist immer die Frage, welche Schwerpunkte einem Autor bei seiner Geschichte wichtig sind. Von der ganzen Anlage der Geschichte her ist Ogaire sicherlich (ich will das jetzt gar nicht mal negativ sagen, sondern als rein sachliche Bewertung) ein von seiner Motivation her eindimensionaler Charakter, der zwar klare Ziele und gute Gründe für sein Handeln hat (ansonsten wäre er kein eindimensionaler, sondern einfach nur ein schlechter und unbrauchbarer Charakter, und das ist er meiner Ansicht nach nicht), aber psychologisch wenig Tiefe besitzt. Irgendwelche inneren Kämpfe, Ambivalenzen und unerwarteten Brüche, die seiner Figur interessante Facetten geben könnten, fehlen sicherlich bei ihm. Seine ganze Konzeption konzentriert sich sehr stark darauf, in seiner Funktion als Antagonist eine Bedrohung für Andion darzustellen. Diese Funktion erfüllt er, wie ich finde, gut. Darüber hinaus mag es aber durchaus einiges geben, was man an dieser Figur kritisieren kann.
Bei Ogaire würde ich sagen, sind letztere Punkte der Fall. Von seiner Persönlichkeit her ist er ganz sicher kein lustbetonter, in körperlicher Hinsicht sinnlich orientierter Charakter. Da er ja seine sinistren Pläne schon sehr lange im Verborgenen und vor den Augen der anderen Elfen verfolgt hat, war er zum einen bestrebt, einen unauffälligen äußeren Anschein zu erwecken, zum anderen brauchte er seinen erstgeborenen Sohn, um sein Ritual zum Abschluss bringen zu können.
In Inveces Anmerkung, wie ein so kontrollierter und innerlich wie äußerlich beherrschter Charakter (was ja im Grunde auch die Sache mit dem Sex mit einschließt) wie Ogaire überhaupt so sehr für seine Ziele "brennen" kann, dass er die Energie aufbringt, sie mit so viel Leidenschaft über einen langen Zeitraum zu verfolgen, stecken interessante und spannende Fragen, die m.E. viele psychologische Aspekte mit einschließen. Wie innerlich bewegt und emotional von starken Gefühlen beherrscht ist ein "Machtmensch", der sein ganzen Streben dem Erreichen eines egoistischen Ziels widmet und dafür skrupellos auch über Leichen geht, der also damit zeigt, dass von moralischen Werten getragenes Mitgefühl nicht zu seinen überragenden Eigenschaften gehört? Sind seine Gefühle - aus welchen Gründen auch immer - möglicherweise von Natur aus bis auf das Niveau eines zur Empathie unfähigen Soziopathen "heruntergedimmt", und ermöglicht ihm erst das seine oft unheimliche Konsequenz und Gewissenlosigkeit in seinem Handeln, oder wird er - wie die meisten "normalen" Menschen auch - von starken Gefühlen beherrscht, die er aber mit seinem Willen sozusagen auf die Erreichung seiner Ziele hin sublimiert hat (möglicherweise bis zu einem Punkt, wo er sie selbst nicht mehr wirklich wahrnimmt)? Muss man bis zu einem gewissen Grad von seiner eigenen Menschlichkeit entfremdet sein, um überhaupt auf eine solche krasse Weise sachlich-brutal und ohne Einbeziehung emotional-mitmenschlicher Beziehungsaspekte seine Ziele verfolgen zu können? Ich finde, das sind spannende, aber auch schwierige Fragen.
Bei Ogaire war mir - unabhängig von diesen allgemeineren psychologischen Überlegungen - wichtig, dass seine Persönlichkeit von ihrer Konzeption her einen völligen Gegensatz und eine Antithese zum zentralen Thema "Empathie" darstellen sollte, die ja bei den Elfen eine natürliche Eigenschaft ihres Wesens ist, das also Ogaire sinnbildlich für das "Herausfallen" aus diesem von Empathie, Einfühlungsvermögen und Fürsorge getragenen zwischenmenschlichen (bzw. elfischen) Kosmos stehen sollte. Wäre Ogaire von starken inneren Gefühlen beherrscht worden, wäre er z.B. angespannt, nervös und kribbelig gwesen, während er darauf wartet, dass Andion vom Hain gerufen wird, hätte er seine innere Anspannung so schlecht unter Kontrolle gehabt, dass er vielleicht im Jähzorn eine Blumenvase vom Tisch fegt (alles das, weil ihm seine Ziele so verdammt wichtig sind und er Angst hat, irgendetwas könnte ihm dazwischenfunken), wäre diese Antithese in meinen Augen verlorengegangen. Erst diese innere und äußere Beherrschtheit bzw. das Fehlen von "heißen" Emotionen macht für mich die Bedrohlichkeit seines Charakters aus. Dass diese Bedrohlichkeit aufgrund dieser Konzeption sicherlich auf Kosten seiner psychologischen Differenziertheit geht, sehe ich durchaus.
Ich denke, es ist immer die Frage, welche Schwerpunkte einem Autor bei seiner Geschichte wichtig sind. Von der ganzen Anlage der Geschichte her ist Ogaire sicherlich (ich will das jetzt gar nicht mal negativ sagen, sondern als rein sachliche Bewertung) ein von seiner Motivation her eindimensionaler Charakter, der zwar klare Ziele und gute Gründe für sein Handeln hat (ansonsten wäre er kein eindimensionaler, sondern einfach nur ein schlechter und unbrauchbarer Charakter, und das ist er meiner Ansicht nach nicht), aber psychologisch wenig Tiefe besitzt. Irgendwelche inneren Kämpfe, Ambivalenzen und unerwarteten Brüche, die seiner Figur interessante Facetten geben könnten, fehlen sicherlich bei ihm. Seine ganze Konzeption konzentriert sich sehr stark darauf, in seiner Funktion als Antagonist eine Bedrohung für Andion darzustellen. Diese Funktion erfüllt er, wie ich finde, gut. Darüber hinaus mag es aber durchaus einiges geben, was man an dieser Figur kritisieren kann.
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- Beitrag #8
Re: 5. Abschnitt: 7. Kapitel
Also irgendwelche Gefühle müsste er haben. Ein ähnliches psychologisches Experiment hat Reinhold Ziegeler in einem Sci-Fi Roman gemacht: Ein Wissenschaftler hat Klone entwickelt, denen er jegliche Gefühle geraubt hat, damit es kein Leid mehr auf der Welt gibt. Sie waren rein rational gesteuert. Irgendwann haben sie gemerkt, dass die Menschen ihnen nur den Platz wegnehmen und ihnen alles wegfressen und den Planeten zerstören und haben sie plattgemacht, weil sie auch viel intelligenter waren. Aber dann ist alles verfallen, weil die Klone keine Gefühle mehr hatten, also auch keinen Ehrgeiz. Die Klone haben von selbst nicht mehr gemacht, als zum Überleben notwendig war und haben in den Ruinen der menschlichen Zivilisation gewohnt.
Ich halte das für ziemlich plausibel. Jemand, der gleichmütig durchs Leben läuft würde auch nicht mit einer solchen Härte irgendwelche Ziele verfolgen. Er würde eher schauen, wie weit er kommt, und wenn etwas nicht klappt - auch egal. Ich denke schon, dass er ein Gefühl haben muss, und sei es Zerstörungswahn wie beim "Joker" oder weil er Liebe&co. nicht ausstehen kann, wie "Grinch".
Ich halte das für ziemlich plausibel. Jemand, der gleichmütig durchs Leben läuft würde auch nicht mit einer solchen Härte irgendwelche Ziele verfolgen. Er würde eher schauen, wie weit er kommt, und wenn etwas nicht klappt - auch egal. Ich denke schon, dass er ein Gefühl haben muss, und sei es Zerstörungswahn wie beim "Joker" oder weil er Liebe&co. nicht ausstehen kann, wie "Grinch".
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- Beitrag #9
Re: 5. Abschnitt: 7. Kapitel
Hm, die Motivation von Bösewichten ist in der Tat ein schwieriges Thema.
Dass Ogaires Beherrschtheit wichtig für seine bedrohliche Wirkung ist, sehe ich aber auch so. Er wirkt dadurch berechnend - wie das Wort schon impliziert, sind Menschen- und Elfenleben für ihn nicht mehr wert als Zahlen auf einer Rechnung. Also, mir persönlich machen solche kalten, unnahbaren Menschen mehr Angst als irgendwelche hitzköpfigen Choleriker. Ogaires Art Gefährlichkeit ist subtilerer Natur als die (um auch mal ein nettes Beispiel zu nennen^^) eines Gargamel, der alle Schlümpfe fressen will.
Dass Ogaires Beherrschtheit wichtig für seine bedrohliche Wirkung ist, sehe ich aber auch so. Er wirkt dadurch berechnend - wie das Wort schon impliziert, sind Menschen- und Elfenleben für ihn nicht mehr wert als Zahlen auf einer Rechnung. Also, mir persönlich machen solche kalten, unnahbaren Menschen mehr Angst als irgendwelche hitzköpfigen Choleriker. Ogaires Art Gefährlichkeit ist subtilerer Natur als die (um auch mal ein nettes Beispiel zu nennen^^) eines Gargamel, der alle Schlümpfe fressen will.
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- Beitrag #10
Re: 5. Abschnitt: 7. Kapitel
Mir hat das Kapitel auch sehr gut gefallen, natürlich hat es die Handlung nicht sonderlich weitergebracht, aber es war einfach eine spannende, bedrohliche Szene, als Ogaire an den Krankenbetten stand und die Patienten ihm vollkommen ausgeliefert waren.
Im ersten Moment dachte ich sogar, die Frau die im Bett liegt, wäre Andions Mutter. Das hätte mich sogar noch mehr erschreckt und hätte sicher auch noch mehr Spannung in die Szene gebracht, aber die Geschichte vllt in eine vollkommen andere Richtung gelenkt, das weiß ich ja jetzt noch nicht.
Aber ich finde, das Kapitel war insofern nicht unnötig, dass es Einblicke in sozusagen Ogaires Alltag gewährt hat, was ich spannend zu lesen fand und ich denke, dann hat ein Kapitel seinen Zweck erfüllt. Wenn es Spaß macht, muss es die Handlung nicht unbedingt weiterbringen.
Im ersten Moment dachte ich sogar, die Frau die im Bett liegt, wäre Andions Mutter. Das hätte mich sogar noch mehr erschreckt und hätte sicher auch noch mehr Spannung in die Szene gebracht, aber die Geschichte vllt in eine vollkommen andere Richtung gelenkt, das weiß ich ja jetzt noch nicht.
Aber ich finde, das Kapitel war insofern nicht unnötig, dass es Einblicke in sozusagen Ogaires Alltag gewährt hat, was ich spannend zu lesen fand und ich denke, dann hat ein Kapitel seinen Zweck erfüllt. Wenn es Spaß macht, muss es die Handlung nicht unbedingt weiterbringen.
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- Beitrag #11
Re: 5. Abschnitt: 7. Kapitel
Also, dass ein Kapitel (oder auch eine einzelne Szene) Spaß machen sollte, wäre schon etwas, was immer wünschenswert ist. Die Ogaire-Sequenz halte ich - über die schlichte Tatsache hinaus, dass sie Spannung erzeugen sollte - aber auch deshalb für wichtig, weil es nach dem Prolog ja die erste Szene überhaupt war, in der man Ogaire mit seinen Gedanken und Gefühlen wirklich handeln sieht. Allein um ein reales Gegengewicht zu den ganzen Geschichten von Ian und zu Andions Traum (der ja auch nur fiktiv war, auch wenn er natürlich einen realen Hintergrund hatte) herzustellen, war die Passage m.E. notwendig. Die Information, wie sich Ogaire konkret in der Menschenwelt eingerichtet hat, durfte m.E. auf keinen Fall lediglich durch Ians Erzählung erfolgen ("Ogaire ist jetzt ein Arzt"), sondern musste aus Ogaires Innenperspektive plastisch geschildert werden. Das Problem bei dieser Geschichte war ja ohnehin (das habe ich durchaus auch selbst so gesehen), dass sie am Anfang relativ stark gedanken- und geschichten-lastig (im Sinne von Ians Geschichten) war, sodass es sehr wichtig war, die einzelnen Figuren endlich richtig in Aktion treten zu lassen.
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- Beitrag #12
Re: 5. Abschnitt: 7. Kapitel
Das sehe ich nicht so. Allein dadurch, dass Ogaire ein eindimensionaler Charakter ist, messe ich ihn nicht mit den gleichen Maßstäben wie Andion. Mir ist es hier im Prinzip wurscht, wie er sich eingerichtet hat, da mir lediglich genügt, dass er sich eingerichtet hat. Auch erfolgt hier keine große Enthüllung zu Ogaires Motiven, daher hat für mich die Szene keine Funktion, außer, dass es vielleicht "badass" ist, mal aus der Sicht des Bösen zu schreiben, so wie der Coup eines Einbrechers.
Ich kann nicht wirklich nachvollziehen, wie ein solches Kapitel ein "Gegengewicht" erzeugen kann, da Ogaire mit seiner Motivation und seiner 1 Dimension nie zu einem gleichwertigen Charakter werden kann. Bisher hatte ich das Gefühl, dass die ganze Geschichte sich nur um Andion dreht und im Grunde ist Ogaire dabei austauschbar. Andion könnte auch mit dem Erbe seines längst toten Großvaters zu tun haben und sein Innenleben wäre immer noch interessant.
Ich kann nicht wirklich nachvollziehen, wie ein solches Kapitel ein "Gegengewicht" erzeugen kann, da Ogaire mit seiner Motivation und seiner 1 Dimension nie zu einem gleichwertigen Charakter werden kann. Bisher hatte ich das Gefühl, dass die ganze Geschichte sich nur um Andion dreht und im Grunde ist Ogaire dabei austauschbar. Andion könnte auch mit dem Erbe seines längst toten Großvaters zu tun haben und sein Innenleben wäre immer noch interessant.
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- Beitrag #13
Re: 5. Abschnitt: 7. Kapitel
Dass Andions Innenleben auch ohne die Sequenz mit Ogaire interessant für den Leser ist, ist klar (bzw. hoffe ich, dass es so ist). Allerdings denke ich, dass es in einer Geschichte auch wichtig ist, Szenen mit einem eher eindimensionalen Antagonisten direkt zu beschreiben und nicht - weil es interessantere Charaktere im Buch gibt - alles, was der Antagonist tut, nur indirekt über die Gedanken und Vermutungen des Protagonisten oder über Berichte aus zweiter Hand an den Leser zu bringen. Das ist zunächst, wie ich finde, eine schlichte Frage der Farbigkeit und Lebendigkeit einer Geschichte. Ein Antagonist - egal ob er nun psychologische Tiefe besitzt oder eher schlicht gestrickt ist - muss, um als ein Gegenpol zum Protagonisten funktionieren zu können, in der Handlung präsent sein, und das gelingt m.E. nur, indem man ihm auch Szenen gibt, in denen er als Figur entsprechend handeln kann und der Leser dieses Handeln live miterlebt. Gerade eine Geschichte, in der (um mit Frey zu sprechen) Kraft und Gegenkraft so unmittelbar aufeinander bezogen sind wie hier, braucht in meinen Augen sowohl konkrete Szenen mit dem Helden als auch mit dem Bösewicht, damit diese Beziehung zwischen den beiden Gegenkräften für den Leser erfahrbar werden kann. Dabei geht es m.E. nicht in erster Linie darum, dass beide Figuren die gleiche psychologische Tiefe haben müssen, damit Szenen mit ihnen gerechtfertigt sind, sondern darum, sie für den Leser greifbar zu machen.
Außerdem - unabhängig von diesen Überlegungen - ist die Krankenhaus-Sequenz mit Ogaire eine wichtige vorbereitende Szene für die spätere Handlung (was hoffentlich an entsprechender Stelle deutlich werden wird). Das heißt, es geht bei der Überlegung, ob man eine Szene aus der Sicht eines (eindimensionalen) Antagonisten bringen soll oder nicht, m.E. nicht allein um die psychologische Dimension der Figuren, sondern auch darum, mit einer solchen Szene Handlung vorzubereiten oder relevante Informationen an die Leser zu vermitteln. Die psychologische Tiefe der in diesen Szenen mitspielenden Figuren ist daher nicht das einzige oder auch nur das wichtigste Kriterium, sondern nur einer von mehreren Aspekten, die man bei seiner Szenen-Konzeption beachten sollte.
Außerdem - unabhängig von diesen Überlegungen - ist die Krankenhaus-Sequenz mit Ogaire eine wichtige vorbereitende Szene für die spätere Handlung (was hoffentlich an entsprechender Stelle deutlich werden wird). Das heißt, es geht bei der Überlegung, ob man eine Szene aus der Sicht eines (eindimensionalen) Antagonisten bringen soll oder nicht, m.E. nicht allein um die psychologische Dimension der Figuren, sondern auch darum, mit einer solchen Szene Handlung vorzubereiten oder relevante Informationen an die Leser zu vermitteln. Die psychologische Tiefe der in diesen Szenen mitspielenden Figuren ist daher nicht das einzige oder auch nur das wichtigste Kriterium, sondern nur einer von mehreren Aspekten, die man bei seiner Szenen-Konzeption beachten sollte.
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- Beitrag #14
Re: 5. Abschnitt: 7. Kapitel
Da kann man sich natürlich drüber streiten und jeder darf denke ich seine eigene Meinung dazu haben, aber ich halte Kapitel aus der Sicht des Antagonisten - wenn er nicht farbig ist- für überflüssig. Sie haben gerade hier auch nicht dazu beigetragen, dass ich Ogaire als würdigen Gegenspieler sehe. Er hat zwar Macht, aber seine emotionale Fülle ist vergleichbar mit einer Ameise und aufgrund dieser Tatsache wird er für mich nie eine echte "Gegenkraft" zu Andion sein.
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- Beitrag #15
Re: 5. Abschnitt: 7. Kapitel
Mhm. Ich denke, dass du "Gegenkraft" nicht ausschließlich anhand der psychologischen Tiefe einer Figur definieren solltest. Auch im "weißen Hai" hat der Hai keine psychologische Tiefe, und trotzdem halte ich ihn für eine enorm spannende Geschichte, weil Kraft und Gegenkraft sehr unmittelbar aufeinander bezogen sind. Eine Gegenkraft wird m.E. auch über ihre Macht definiert, dem Protagonisten Schaden zufügen zu können, und mit dieser Fähigkeit muss der Antagonist für den Leser real werden. Das ist in meinen Augen eine Ebene, die unabhängig von der Frage nach der psychologischen Tiefe einer Figur existiert (die natürlich auch wichtig ist, da gebe ich dir auf jeden Fall recht). Die emotionale Fülle des Antagonisten darf m.E. aber nicht das alleinige Kriterium sein, wenn es darum geht, eine Bedrohung für den Protagonisten aufzuspannen. Ich denke, dass du mit deiner Meinung zu Antagonisten in Geschichten zu rigoros bist und dir damit eventuell bei deinen eigenen Geschichten Möglichkeiten verbauen könntest, weil du ZU SEHR auf die emotionale und psychologische Fülle der Gegenkraft fixiert bist.
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- Beitrag #16
Re: 5. Abschnitt: 7. Kapitel
Ich denke, eine zentrale Frage ist hier auch, ob man Perspektivenwechsel generell für sinnvoll erachtet oder eher nicht.
Ich persönlich würde dazu gerne noch etwas diskutieren, denn in meinem aktuellen Projetk gibt es ebenfalls einen Antagonisten, ich habe bisher jedoch nicht vor, auch Szenen aus seiner Sicht zu schreiben, da ich mich für die personale Erzählperspektive entschieden habe und eigentlich bei meinem Prota bleiben wollte.
Bedeutet das, dass ich den Antagonisten so nicht sinnvoll darstellen kann?
Mir fällt zu Perspektivenwechsel spontan Harry Potter ein. Fast die komplette Serie ist aus Harrys Sicht geschrieben. Es gibt nur wenige Szenen, die aus der Sicht anderer geschrieben sind, etwa die Szene im Beginn vom ersten Teil, als Voldemort den alten Mann Frank umbringt und über Bertha Jorkins redet. Und ich glaube, es gibt auch vor allem in den späteren Teilen hin und wieder Szenen von den Todessern, Snape (im 6. Teil, als er mit Narzissa und Bellatrix den unbrechbaren Schwur schwört) und eine handvoll andere. In diesen Szenen erfährt der Leser wichtige Informationen, die wichtig sind, die Spannung aufzubauen. Ich habe diese Sequenzen allerdings oft als unelegant empfunden, auch vor allem weil sie so selten sind, dass sie den Leser aus dem übrigen Erzählstil heraus reißen.
Jetzt ist die Frage, ob man diese Informationen auch ohne einen Perspektivenwechsel herausarbeiten könnte, und ob sie wirklcih essentiell für die Handlung sind oder ob man sie nicht auch anders einbringen kann.
Zu der Szene mit Ogaire speziell:
Ich finde es an sich in Ordnung, ihn einmal aus seiner Sicht direkt darzustellen, und nicht nur durch Ians Geschichten. Dass der Charakter eindimensional ist, ist auch in Ordnung, ich hätte mir nur in dieser Szene ein bisschen mehr Information über seinen Charakter und seine Beweggründe gewünscht. Ich kenne Ogaire so überhaupt nicht; er tötet und heilt, ohne dass es ihn interessiert. Dennoch hat er den Elfenhain vergiftet, und von meinem Gefühl her zumindest wollte er, dass dort alles stirbt: Hier war es ihm also nicht gleichgültig. Das passt für mich noch nicht zusammen, da ich bisher zu wenig Informationen habe, um einschätzen zu können, was er will, denkt und fühlt.
Ich persönlich würde dazu gerne noch etwas diskutieren, denn in meinem aktuellen Projetk gibt es ebenfalls einen Antagonisten, ich habe bisher jedoch nicht vor, auch Szenen aus seiner Sicht zu schreiben, da ich mich für die personale Erzählperspektive entschieden habe und eigentlich bei meinem Prota bleiben wollte.
Bedeutet das, dass ich den Antagonisten so nicht sinnvoll darstellen kann?
Mir fällt zu Perspektivenwechsel spontan Harry Potter ein. Fast die komplette Serie ist aus Harrys Sicht geschrieben. Es gibt nur wenige Szenen, die aus der Sicht anderer geschrieben sind, etwa die Szene im Beginn vom ersten Teil, als Voldemort den alten Mann Frank umbringt und über Bertha Jorkins redet. Und ich glaube, es gibt auch vor allem in den späteren Teilen hin und wieder Szenen von den Todessern, Snape (im 6. Teil, als er mit Narzissa und Bellatrix den unbrechbaren Schwur schwört) und eine handvoll andere. In diesen Szenen erfährt der Leser wichtige Informationen, die wichtig sind, die Spannung aufzubauen. Ich habe diese Sequenzen allerdings oft als unelegant empfunden, auch vor allem weil sie so selten sind, dass sie den Leser aus dem übrigen Erzählstil heraus reißen.
Jetzt ist die Frage, ob man diese Informationen auch ohne einen Perspektivenwechsel herausarbeiten könnte, und ob sie wirklcih essentiell für die Handlung sind oder ob man sie nicht auch anders einbringen kann.
Zu der Szene mit Ogaire speziell:
Ich finde es an sich in Ordnung, ihn einmal aus seiner Sicht direkt darzustellen, und nicht nur durch Ians Geschichten. Dass der Charakter eindimensional ist, ist auch in Ordnung, ich hätte mir nur in dieser Szene ein bisschen mehr Information über seinen Charakter und seine Beweggründe gewünscht. Ich kenne Ogaire so überhaupt nicht; er tötet und heilt, ohne dass es ihn interessiert. Dennoch hat er den Elfenhain vergiftet, und von meinem Gefühl her zumindest wollte er, dass dort alles stirbt: Hier war es ihm also nicht gleichgültig. Das passt für mich noch nicht zusammen, da ich bisher zu wenig Informationen habe, um einschätzen zu können, was er will, denkt und fühlt.
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- Beitrag #17
Re: 5. Abschnitt: 7. Kapitel
@Susanne: Natürlich stimmt das mit dem weißen Hai. Nur wird in der Geschichte nicht sehr viel aus der Perspektive des Hais erzählt.
Ja, man macht das im Film manchmal, dass die Kamera quasi aus der Sicht des Mörders/Jägers/Bösewichts das Geschehen beobachtet, aber das macht man für den "Thrill".
@Earl: Ich bin, wie man wohl erahnen kann, eher ein Gegner von Perspektivwechseln. Habe zunächst schlechte Erfahrungen in "Artemis Fowl" damit gemacht, wo der Autor es anscheinend für "cool" erachtete, ein wenig Action aus der Sicht von anderen zu schildern, da der Protagonist einfach nicht für Action gemacht war.
Bei Harry Potter wurden wichtige Informationen geliefert, das ist wahr. Die Szenen aus Voldemorts Sicht kann man auch als sinnvoll erachten, da ja eine mentale Verbindung zwischen ihm und Harry besteht. Alle anderen Einschübe haben mich aber gestört.
Es ist klar, dass außerhalb dessen, was man als Leser zu wissen bekommt, immer etwas passiert. Auch die Elfen sind ja über die ganzen Jahre hinweg nicht untätig geblieben und sicher fände der eine oder andere gerade das interessant. Aber es diente nicht der Geschichte. Und mMn dient auch das Kapitel aus Ogaires Sicht nicht der Geschichte.
Ja, man macht das im Film manchmal, dass die Kamera quasi aus der Sicht des Mörders/Jägers/Bösewichts das Geschehen beobachtet, aber das macht man für den "Thrill".
@Earl: Ich bin, wie man wohl erahnen kann, eher ein Gegner von Perspektivwechseln. Habe zunächst schlechte Erfahrungen in "Artemis Fowl" damit gemacht, wo der Autor es anscheinend für "cool" erachtete, ein wenig Action aus der Sicht von anderen zu schildern, da der Protagonist einfach nicht für Action gemacht war.
Bei Harry Potter wurden wichtige Informationen geliefert, das ist wahr. Die Szenen aus Voldemorts Sicht kann man auch als sinnvoll erachten, da ja eine mentale Verbindung zwischen ihm und Harry besteht. Alle anderen Einschübe haben mich aber gestört.
Es ist klar, dass außerhalb dessen, was man als Leser zu wissen bekommt, immer etwas passiert. Auch die Elfen sind ja über die ganzen Jahre hinweg nicht untätig geblieben und sicher fände der eine oder andere gerade das interessant. Aber es diente nicht der Geschichte. Und mMn dient auch das Kapitel aus Ogaires Sicht nicht der Geschichte.
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- Beitrag #18
Re: 5. Abschnitt: 7. Kapitel
Dass du das Argument mit der Perspektive des Hais bringst, war naheliegend. Ich mache mir zu deinem Problem auch noch ein paar Gedanken, Early, aber gerade muss ich mal den Computer ausschalten.
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- Beitrag #19
Re: 5. Abschnitt: 7. Kapitel
@Gotthelf: Ich habe ein ähnliches Gefühl den Perspektivwechseln gegenüber. Ja, die mentale Verbindung von Harry und Voldemort rechtfertig diese gewissermaßen.
Ob das Kapitel aus Ogaires Sicht der Geschichte dient, kann ich bisher noch nicht sagen. Das wird sich, denke ich, im Verlauf der Geschichte noch zeigen (Susanne hat ja etwas angedeutet, dass die INformationen noch relevant werden).
Ob das Kapitel aus Ogaires Sicht der Geschichte dient, kann ich bisher noch nicht sagen. Das wird sich, denke ich, im Verlauf der Geschichte noch zeigen (Susanne hat ja etwas angedeutet, dass die INformationen noch relevant werden).
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- Beitrag #20
Re: 5. Abschnitt: 7. Kapitel
Noch ein paar allgemeine Gedanken zu Antagonisten.
Ich denke, dass es ein Fehler ist, kategorisch zu sagen: "Ein Antagonist muss IMMER psychologisch differenziert sein, innere Ambivalenzen und Brüche und vielleicht eine eigene Leidensgeschichte haben, zwiespältig sein, unerwartete Charaktereigenschaften besitzen etc." Ich bin wirklich, wirklich, WIRKLICH ein Freund von psychologischer Tiefe bei Figuren, dennoch denke ich, dass man in diesem Punkt auch differenzieren sollte.
Nicht in jeder Geschichte ist es nötig bzw. nicht für jede Geschichte ist es m.E. gut, wenn der Antagonist ebenso psychologisch differenziert wäre wie der Protagonist. Ich denke zum Beispiel gerade an Dean Koontz' Roman "Ort des Grauens". Der Antagonist ist in meinen Augen wirklich furchterregend - ein Psychopath, dessen einziger Lebensinhalt es ist, Menschen die Kehlen durchzubeißen und sich am Geschmack ihres Blutes aufzugeilen. Als wenn das allein nicht schon als Gegenkraft für den Protagonisten übel genug wäre, beherrscht besagter Psychopath auch noch die Fähigkeit der Teleportation, kann also jederzeit aus dem Nichts im Wohnzimmer des Helden auftauchen, wenn er das will. Außerdem ist die total nette Freundin des Helden auch noch taub.
Dieser Antagonist ist - was seine psychologische Tiefe und Differenziertheit angeht - so flach wie eine Briefmarke, und dennoch baut Koontz immer wieder Szenen aus seiner Perspektive ein, deren einziger Inhalt lange Zeit ist, ihn dabei zu beobachten, wie er nachts in die Schlafzimmer unbescholtener Bürger teleportiert, sie beim Schlafen beobachtet und ihnen dann ihre Kehlen durchbeißt. Mehr will der Kerl nicht, mehr als das geht an Psychologie nicht in ihm vor, und dennoch ist er als eine in meinen Augen hervorragende Gegenkraft zum Protagonisten - einem sympathischen Detektiv - in der Handlung präsent.
Diese starke Präsenz gewinnt er aber nur dadurch, dass Koontz Szenen aus seiner Perspektive schreibt und nicht darauf wartet, bis Protagonist und Antagonist irgendwann tatsächlich aufeinandertreffen. Gerade die psychologische Undifferenziertheit macht m.E. bei diesem Antagonisten die bedrohliche Wirkung aus, und hier zu sagen: "Das ist aber ein miserabler Antagonist, weil er keine psychologische Tiefe besitzt, und deshalb darf es auch keine Szenen mit ihm geben, in denen er mit seiner eigenen Perspektive beschrieben wird", wäre in meinen Augen vollkommen verfehlt. Natürlich kommt es hier darauf an, den Antagonisten auch in Szenen zu beschreiben, die etwas über seinen (simpel gestrickten) Charakter aussagen, und zwar in einer Form, die ihn als Gegenkraft für den Protagonisten bedrohlich macht. Hätte Koontz seinen Killer (der übrigens - als einziger psychologischer Bruch - Candy hieß) in eigenen Szenen beschrieben, in denen er nichts anderes tut, als mit einer Tüte Kartoffelchips auf dem Sofa zu sitzen und sich GZSZ anzuschauen, wären das selbstverständlich komplett überflüssige Szenen gewesen, egal aus wessen Perspektive. Dem psychologisch schlichten Protagonisten allerdings Szenen mit eigener Perspektive zu geben, in denen er Dinge tut, die zum einen seinem fiesen Charakter entsprechen und zum anderen unmittelbar etwas über die Gefahr aussagen, in der der Protagonist schwebt, GERADE WEIL der Antagonist die Dinge tut, die er tut, ist m.E. oft eine Notwendigkeit bei der Konzeption, damit die Kraft-Gegenkraft-Beziehung zwischen Held und Bösewicht im Gefühl des Lesers ihre Wirkung entfalten kann.
Ich denke, psychologische Differenziertheit bei Figuren ist zwar ENORM wichtig, darf aber nicht zu einem Selbstzweck erhoben werden. Es gibt m.E. Geschichten, bei denen es schlicht ein Fehler wäre, bestimmte Figuren psychologisch ZU differenziert zu zeichnen, weil das dazu führen würde, dass sie einen Großteil ihrer Wirkung einbüßen würden, nach der die Geschichte verlangt. Ich habe das Gefühl, dass bei der kategorischen Forderung, dass ein Autor immer nur psychologisch tiefe Antagonisten für seine Geschichten benutzen soll, manchmal vergessen wird, dass diese Figuren ja trotz ihrer Eindimensionalität gut funktionieren und nicht automatisch eine schlicht konzipierte Figur (was ihre psychologische Differenziertheit betrifft) auch eine UNGLAUBWÜRDIGE Figur ist. Es GIBT ja auch genug Menschen im realen Leben, die in dieser Form gestrickt sind, und für manche Geschichten braucht man m.E. eher eine geradlinige und konsequent zielstrebige Figur als Antagonisten als eine, die zwar den Helden umbringen will (warum auch immer), aber immer wieder Szenen hat, in denen sie sich rührend um ihre kranke Mutter kümmert, einem Kind einen Lolli kauft oder Angst hat, sich mit einem ekligen Keim anzustecken, wenn sie die Türklinke einer öffentlichen Toilette anfasst.
Bestimmte Geschichten verlangen zwingend nach einem differenziert ausgearbeiteten Antagonisten, das würde ich niemals bestreiten. Aber zu sagen, dass ALLE Geschichten stets nur einen solchen haben DÜRFEN, wäre in meinen Augen ein unzulässiger Kurzschluss - ebenso wie zu sagen: "Na gut, der Antagonist in dieser oder jener Geschichte ist zwar emotional ohne Tiefe und psychologisch undifferenziert - nehmen wir das mal großmütig hin, auch wenn es die Geschichte schlechter macht -, aber diesem flachen Antagonisten auch noch Szenen mit eigener Perspektive zu geben, geht zu weit, denn eine solche Figur VERDIENT keine eigene Perspektive." Die Funktion, die ein Antagonist für eine bestimmte Geschichte hat, hat manchmal nichts mit psychologischer Differenziertheit zu tun. In diesem Punkt zu pauschal zu sein, erhöht m.E. die Gefahr für einen Autor, nicht mehr klar zu erkennen, welche Anforderungen eine Geschichte an die Konzeption stellt und welche nicht.
Ich denke, dass es ein Fehler ist, kategorisch zu sagen: "Ein Antagonist muss IMMER psychologisch differenziert sein, innere Ambivalenzen und Brüche und vielleicht eine eigene Leidensgeschichte haben, zwiespältig sein, unerwartete Charaktereigenschaften besitzen etc." Ich bin wirklich, wirklich, WIRKLICH ein Freund von psychologischer Tiefe bei Figuren, dennoch denke ich, dass man in diesem Punkt auch differenzieren sollte.
Nicht in jeder Geschichte ist es nötig bzw. nicht für jede Geschichte ist es m.E. gut, wenn der Antagonist ebenso psychologisch differenziert wäre wie der Protagonist. Ich denke zum Beispiel gerade an Dean Koontz' Roman "Ort des Grauens". Der Antagonist ist in meinen Augen wirklich furchterregend - ein Psychopath, dessen einziger Lebensinhalt es ist, Menschen die Kehlen durchzubeißen und sich am Geschmack ihres Blutes aufzugeilen. Als wenn das allein nicht schon als Gegenkraft für den Protagonisten übel genug wäre, beherrscht besagter Psychopath auch noch die Fähigkeit der Teleportation, kann also jederzeit aus dem Nichts im Wohnzimmer des Helden auftauchen, wenn er das will. Außerdem ist die total nette Freundin des Helden auch noch taub.
Dieser Antagonist ist - was seine psychologische Tiefe und Differenziertheit angeht - so flach wie eine Briefmarke, und dennoch baut Koontz immer wieder Szenen aus seiner Perspektive ein, deren einziger Inhalt lange Zeit ist, ihn dabei zu beobachten, wie er nachts in die Schlafzimmer unbescholtener Bürger teleportiert, sie beim Schlafen beobachtet und ihnen dann ihre Kehlen durchbeißt. Mehr will der Kerl nicht, mehr als das geht an Psychologie nicht in ihm vor, und dennoch ist er als eine in meinen Augen hervorragende Gegenkraft zum Protagonisten - einem sympathischen Detektiv - in der Handlung präsent.
Diese starke Präsenz gewinnt er aber nur dadurch, dass Koontz Szenen aus seiner Perspektive schreibt und nicht darauf wartet, bis Protagonist und Antagonist irgendwann tatsächlich aufeinandertreffen. Gerade die psychologische Undifferenziertheit macht m.E. bei diesem Antagonisten die bedrohliche Wirkung aus, und hier zu sagen: "Das ist aber ein miserabler Antagonist, weil er keine psychologische Tiefe besitzt, und deshalb darf es auch keine Szenen mit ihm geben, in denen er mit seiner eigenen Perspektive beschrieben wird", wäre in meinen Augen vollkommen verfehlt. Natürlich kommt es hier darauf an, den Antagonisten auch in Szenen zu beschreiben, die etwas über seinen (simpel gestrickten) Charakter aussagen, und zwar in einer Form, die ihn als Gegenkraft für den Protagonisten bedrohlich macht. Hätte Koontz seinen Killer (der übrigens - als einziger psychologischer Bruch - Candy hieß) in eigenen Szenen beschrieben, in denen er nichts anderes tut, als mit einer Tüte Kartoffelchips auf dem Sofa zu sitzen und sich GZSZ anzuschauen, wären das selbstverständlich komplett überflüssige Szenen gewesen, egal aus wessen Perspektive. Dem psychologisch schlichten Protagonisten allerdings Szenen mit eigener Perspektive zu geben, in denen er Dinge tut, die zum einen seinem fiesen Charakter entsprechen und zum anderen unmittelbar etwas über die Gefahr aussagen, in der der Protagonist schwebt, GERADE WEIL der Antagonist die Dinge tut, die er tut, ist m.E. oft eine Notwendigkeit bei der Konzeption, damit die Kraft-Gegenkraft-Beziehung zwischen Held und Bösewicht im Gefühl des Lesers ihre Wirkung entfalten kann.
Ich denke, psychologische Differenziertheit bei Figuren ist zwar ENORM wichtig, darf aber nicht zu einem Selbstzweck erhoben werden. Es gibt m.E. Geschichten, bei denen es schlicht ein Fehler wäre, bestimmte Figuren psychologisch ZU differenziert zu zeichnen, weil das dazu führen würde, dass sie einen Großteil ihrer Wirkung einbüßen würden, nach der die Geschichte verlangt. Ich habe das Gefühl, dass bei der kategorischen Forderung, dass ein Autor immer nur psychologisch tiefe Antagonisten für seine Geschichten benutzen soll, manchmal vergessen wird, dass diese Figuren ja trotz ihrer Eindimensionalität gut funktionieren und nicht automatisch eine schlicht konzipierte Figur (was ihre psychologische Differenziertheit betrifft) auch eine UNGLAUBWÜRDIGE Figur ist. Es GIBT ja auch genug Menschen im realen Leben, die in dieser Form gestrickt sind, und für manche Geschichten braucht man m.E. eher eine geradlinige und konsequent zielstrebige Figur als Antagonisten als eine, die zwar den Helden umbringen will (warum auch immer), aber immer wieder Szenen hat, in denen sie sich rührend um ihre kranke Mutter kümmert, einem Kind einen Lolli kauft oder Angst hat, sich mit einem ekligen Keim anzustecken, wenn sie die Türklinke einer öffentlichen Toilette anfasst.
Bestimmte Geschichten verlangen zwingend nach einem differenziert ausgearbeiteten Antagonisten, das würde ich niemals bestreiten. Aber zu sagen, dass ALLE Geschichten stets nur einen solchen haben DÜRFEN, wäre in meinen Augen ein unzulässiger Kurzschluss - ebenso wie zu sagen: "Na gut, der Antagonist in dieser oder jener Geschichte ist zwar emotional ohne Tiefe und psychologisch undifferenziert - nehmen wir das mal großmütig hin, auch wenn es die Geschichte schlechter macht -, aber diesem flachen Antagonisten auch noch Szenen mit eigener Perspektive zu geben, geht zu weit, denn eine solche Figur VERDIENT keine eigene Perspektive." Die Funktion, die ein Antagonist für eine bestimmte Geschichte hat, hat manchmal nichts mit psychologischer Differenziertheit zu tun. In diesem Punkt zu pauschal zu sein, erhöht m.E. die Gefahr für einen Autor, nicht mehr klar zu erkennen, welche Anforderungen eine Geschichte an die Konzeption stellt und welche nicht.
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- Beitrag #21
Re: 5. Abschnitt: 7. Kapitel
Ich sagte auch nicht, dass der Antagonist differenziert sein muss. Nur, wenn er es nicht ist, braucht er auch nicht viel Raum zur Entfaltung.
Gut, dass du Koontz bringst, denn seinen Erzählstil mag ich nicht. Bei oben genanntem Beispiel hab ich die Kapitel aus der Sicht es Mörders irgendwann einfach übersprungen, weils langweilig war.
Es gibt sicher Leute, die das toll finden, aber mMn wird da (meist) nur gemacht, damit der Autor sich ein wenig ausleben kann. In der Schreibakademie haben wir uns ein wenig über so etwas unterhalten und sind zu dem Schluss gekommen, dass Autoren oft für ihre Persönlichkeit kompensieren. zB Stephen King. In der Realität ein von Angst zerfressener Mensch, und seine Bücher voller Brutalität. Es ist ein fiktiver Amoklauf, eine Alternative zum Zocken. Jugendliche erschießen reihenweise Leute am PC, Autoren massakrieren ihre Figuren auf dem Blatt. Es macht Spaß, der Böse zu sein, aus seiner Sicht zu schreiben, das kann ich nicht leugnen. Ich liebe meinen psychopathischen Massenmörder auch. Aber ich halte es trotzdem für falsch.
Gut, dass du Koontz bringst, denn seinen Erzählstil mag ich nicht. Bei oben genanntem Beispiel hab ich die Kapitel aus der Sicht es Mörders irgendwann einfach übersprungen, weils langweilig war.
Es gibt sicher Leute, die das toll finden, aber mMn wird da (meist) nur gemacht, damit der Autor sich ein wenig ausleben kann. In der Schreibakademie haben wir uns ein wenig über so etwas unterhalten und sind zu dem Schluss gekommen, dass Autoren oft für ihre Persönlichkeit kompensieren. zB Stephen King. In der Realität ein von Angst zerfressener Mensch, und seine Bücher voller Brutalität. Es ist ein fiktiver Amoklauf, eine Alternative zum Zocken. Jugendliche erschießen reihenweise Leute am PC, Autoren massakrieren ihre Figuren auf dem Blatt. Es macht Spaß, der Böse zu sein, aus seiner Sicht zu schreiben, das kann ich nicht leugnen. Ich liebe meinen psychopathischen Massenmörder auch. Aber ich halte es trotzdem für falsch.
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- Beitrag #22
Re: 5. Abschnitt: 7. Kapitel
Ich denke, man muss hier differenzieren, warum man eine Szene aus der Perspektive des Antagonisten schreibt.
Wenn es darum geht, die vielschichte Psyche des Antagonisten zu zeigen und seine Beweggründe und Persönlichkeit aufzudröseln sind solche Szenen bei geradlienigen, eindimensionalen Charakteren tatsächlich nicht nötig.
Wenn der Autor allerdings ein anderes Ziel hat, wie die Spannung aufzubauen, vielleicht einen Gruseleffekt zu erzielen oder den Gegensatz von Antagonist und Protagonist aufzuzeigen, können Szenen aus Sicht des eindimensionalen Bösewichtes duruchaus sinnvoll sein, auch wenn man nicht viel über seine Psyche erfährt; denn darum geht es in diesem Fall nicht.
Ich glaube, das ist auch, was Susanne sagen wollte. Habe ich das richtig verstanden?
Ob man Perspektivwechsel grundsätzlich mag oder nicht, ist wohl Geschmackssache und man muss auch hier -wie überall in der Kunst- differenzieren, ob etwas einem persönlich nicht gefällt oder ob es wirklich schlecht ist. Ersteres kann man immer sagen, letzteres nicht.
Wenn es darum geht, die vielschichte Psyche des Antagonisten zu zeigen und seine Beweggründe und Persönlichkeit aufzudröseln sind solche Szenen bei geradlienigen, eindimensionalen Charakteren tatsächlich nicht nötig.
Wenn der Autor allerdings ein anderes Ziel hat, wie die Spannung aufzubauen, vielleicht einen Gruseleffekt zu erzielen oder den Gegensatz von Antagonist und Protagonist aufzuzeigen, können Szenen aus Sicht des eindimensionalen Bösewichtes duruchaus sinnvoll sein, auch wenn man nicht viel über seine Psyche erfährt; denn darum geht es in diesem Fall nicht.
Ich glaube, das ist auch, was Susanne sagen wollte. Habe ich das richtig verstanden?
Ob man Perspektivwechsel grundsätzlich mag oder nicht, ist wohl Geschmackssache und man muss auch hier -wie überall in der Kunst- differenzieren, ob etwas einem persönlich nicht gefällt oder ob es wirklich schlecht ist. Ersteres kann man immer sagen, letzteres nicht.
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- Beitrag #23
Re: 5. Abschnitt: 7. Kapitel
Natürlich kann eine Szene verschiedene Ziele haben.
Und Gruseleffekt? Spannung? Das ist kein Thriller, kein Krimi, keine Tragödie. In jeder Art Geschichte zeigt sich die Spannung durch etwas anderes, hier ist es spannend, Andions Charakterentwicklung zu verfolgen, nicht rasende Auto-Action zu beobachten.
Zu der Sache, ob etwas schlecht ist:
Sokrates fragte einmal: Wer hat mehr Ahnung von Pferden: Ein Pferdezüchter oder die große Masse der Menschen, die nie etwas mit Pferden zu tun hatte? Wenn nun die Masse sagt, das Pferd ist schlecht, der Pferdezüchter aber, es sei gut, wer hat nun recht?
Das ist meine Meinung dazu. Und ich bin die Masse.
Ich untersuche eine Szene deshalb nie danach, ob sie gut oder schlecht ist, sondern ob sie ihr Ziel trifft oder verfehlt. Was anderes kann ich nicht einschätzen.
Der Gegensatz ist spätestens seit dem 1ten Kapitel klar.vielleicht einen Gruseleffekt zu erzielen oder den Gegensatz von Antagonist und Protagonist aufzuzeigen
Und Gruseleffekt? Spannung? Das ist kein Thriller, kein Krimi, keine Tragödie. In jeder Art Geschichte zeigt sich die Spannung durch etwas anderes, hier ist es spannend, Andions Charakterentwicklung zu verfolgen, nicht rasende Auto-Action zu beobachten.
Zu der Sache, ob etwas schlecht ist:
Sokrates fragte einmal: Wer hat mehr Ahnung von Pferden: Ein Pferdezüchter oder die große Masse der Menschen, die nie etwas mit Pferden zu tun hatte? Wenn nun die Masse sagt, das Pferd ist schlecht, der Pferdezüchter aber, es sei gut, wer hat nun recht?
Das ist meine Meinung dazu. Und ich bin die Masse.
Ich untersuche eine Szene deshalb nie danach, ob sie gut oder schlecht ist, sondern ob sie ihr Ziel trifft oder verfehlt. Was anderes kann ich nicht einschätzen.
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- Beitrag #24
Re: 5. Abschnitt: 7. Kapitel
Ich hatte hier noch allgemein gesprochen, die Szene im Krankenhaus dient sicher keinem Gruseleffekt.vielleicht einen Gruseleffekt zu erzielen oder den Gegensatz von Antagonist und Protagonist aufzuzeigen
Der Gegensatz ist spätestens seit dem 1ten Kapitel klar.
Und Gruseleffekt? Spannung? Das ist kein Thriller, kein Krimi, keine Tragödie. In jeder Art Geschichte zeigt sich die Spannung durch etwas anderes, hier ist es spannend, Andions Charakterentwicklung zu verfolgen, nicht rasende Auto-Action zu beobachten.
Ich denke, wie einigen uns darauf, dass wir uns nicht einig sind
Wenn dir da Kapitel nicht gefällt, dann ist das nun mal dein Eindruck. Allerdings denke ich, dass du deshalb Susanne unterstellen solltest, dass sie damit nur "ihre Persönlichkeit ausleben" möchte. Ich bin mir sicher, hinter diesem Kapitel steckt -wie in dem gesamten Buch- sehr viel Arbeit und Überlegung, die man nicht verneinen sollte. Ich möchte auch nicht sagen, dass du das getan hättest und ich will dich sicher nicht persönlich angreifen, es wirkte nur zwischendurch ein bisschen so, als würdest du dem Kapitel jeglichen Sinn absprechen wollen.
Ich persönlich bin auch noch nicht komplett davon überzeugt, ich möchte jedoch die weitere Geschichte abwarten bevor ich beurteile, ob ich das Kapitel als überflüssig empfinde oder nicht. Bisher kann ich das noch nicht sagen.
Zu deinem Sokrates Beispiel: Das kommt darauf an, was man unter einem guten Pferd versteht. Wenn die Masse es für die Feldarbeit braucht, der Züchter jedoch auf Dressurreiten wert legt, haben beide gleichermaßen Recht und Unrecht.
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- Beitrag #25
Re: 5. Abschnitt: 7. Kapitel
Ich sprach ebenfalls allgemein. Ob Susanne sich jetzt nur ausleben wollte, weiß ich nicht
Übrigens kann man sich auch mit Überlegung ausleben. Viele solcher Szenen sind ja eigentlich sehr gut geschrieben, nur ist eine Thrillerszene zB. in einem Drama halt meist fehl am Platze
Meine Einschätzung, ob die Szene überflüssig ist oder nicht, beruht jetzt auch auf den Erwartungen, die ich an das Buch stelle, was eigentlich auch ein Trauerspiel ist, wenn so mancher Leser ein Buch gut findet, dass seinen Vorstellungen gerecht wird, es aber ablehnt, wenn es sich ihm entzieht.
Die Szene ist der Apologie entnommen und erstreckt sich über ein Kapitel. Habs gekürzt, aber Sokrates hatte da schon gleiche Ziele vorausgesetzt. Es handelte sich ja nur um eine Analogie dazu, ob er die Jugend verdirbt.
Übrigens kann man sich auch mit Überlegung ausleben. Viele solcher Szenen sind ja eigentlich sehr gut geschrieben, nur ist eine Thrillerszene zB. in einem Drama halt meist fehl am Platze
Meine Einschätzung, ob die Szene überflüssig ist oder nicht, beruht jetzt auch auf den Erwartungen, die ich an das Buch stelle, was eigentlich auch ein Trauerspiel ist, wenn so mancher Leser ein Buch gut findet, dass seinen Vorstellungen gerecht wird, es aber ablehnt, wenn es sich ihm entzieht.
Die Szene ist der Apologie entnommen und erstreckt sich über ein Kapitel. Habs gekürzt, aber Sokrates hatte da schon gleiche Ziele vorausgesetzt. Es handelte sich ja nur um eine Analogie dazu, ob er die Jugend verdirbt.
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